Meine Schwiegermutter trinkt - Roman
Ingenieur Romolo Sesti Orfeo dazu übergeht, den Vorwurf mit einer, wie ich sagen muss, ziemlich anrührenden Entrüstung zu untermauern:
»Wie konntet ihr es nur zulassen, dass ein Krimineller wie der da frei herumlaufen darf? Wie konnte so was geschehen?«
»Ich weiß es nicht, Herr Ingenieur. Glauben Sie mir«, antwortet Mulder aufrichtig geknickt. »Diese Dinge kommen vor, wir können da nichts machen. Mitunter führen die Untergetauchten ein ganz normales Leben weiter, und man braucht Jahre, bis man sie findet. Das ist nicht unsere Schuld. Wir tun wirklich, was wir können!«
»Mul… Er hat recht«, springe ich dem Capitano bei. »Sie können ihn nicht verant…«
»Vertun Sie sich da mal nicht, Herr Anwalt«, unterbricht mich der Ingenieur brüsk und deutet mit der Pistole auf Matrix. » Den dort sollen Sie verteidigen, nicht die Ordnungskräfte.«
Vor lauter Verdutztheit werde ich nicht mal rot.
»Ich bin doch nicht Ihr Handlanger«, gebe ich ihm barsch zurück. »Reden Sie gefälligst in einem anderen Ton mit mir!«
Das war eindeutig ein Treffer! (Die Art, wie Ingenieur Romolo Sesti Orfeo die Augenbrauen runzelt, entschädigt mich ein wenig.)
»Sie haben recht, entschuldigen Sie«, rechtfertigt er sich und schüttelt den Kopf. »Meine Nerven liegen blank.«
»Herr Ingenieur«, meldet sich jetzt wieder Mulder zu Wort, »ich bitte Sie. Sie haben schon eine Geiselnahme auf dem Gewissen – laden Sie sich nicht auch noch einen Mord auf. Überlassen Sie ihn uns. Wir nehmen ihn schon fest.«
»Damit er einen schlauen Lenz im Knast hat, solange er auf den nächsten Prozess wartet, von dem keiner weiß, wann und wie er ausgehen wird? Vielen Dank, Capitano, aber mit dieser Alternative habe ich abgeschlossen, und Sie sehen ja, wohin es mich gebracht hat.«
Mulder stößt einen Seufzer aus, der sehr nach Kapitulation klingt.
Ein entwaffnendes Schweigen legt sich auf uns nieder, und alle fühlen wir uns schuldig.
Aber ich fühle in meinem Innern noch etwas anderes: Die berechtigte Verachtung des Romolo Sesti Orfeo für die Institutionen stinkt mir gewaltig. Auch weil er seit einer geschlagenen Stunde darauf herumhackt.
Ein jüngerer Cousin von mir (der Sohn eines bescheuerten Onkels) hatte dasselbe Laster: Sobald er einen berechtigten Streitpunkt fand, an dem sich sein Sturkopf festbeißen konnte, ließ er nicht mehr locker, bis man ihn am liebsten raus- und die Treppe hinuntergeschmissen hätte. (Einmal habe ich ihn tatsächlich auch gestoßen. Dabei hat er sich sogar richtig wehgetan. Und sagen wir mal so: Bedauert habe ich ihn nicht gerade …)
»Ich will mich nicht schon wieder vertun, Herr Ingenieur«, mische ich mich ein (im Vertrauen darauf, dass ich irgendwo noch einen Clou auf Lager habe), »aber wir haben schon mitgekriegt, dass Sie keine allzu großen Stücke auf die italienische Justiz halten.«
Er dreht sich zu mir, schließt kurz die Augen und öffnet sie dann mit einer derart provokativen aristokratischen Distanziertheit, dass ich große Lust bekomme, ihm haargenau auseinanderzusetzen, was ich gerade denke.
»Sie haben alle guten Gründe auf Ihrer Seite, zweifellos«, schnauze ich. »Ihre Argumente sind einwandfrei und passgenau – wie ja alles bei Ihnen passgenau und glatt gebügelt ist, jawohl, wie ein Hemd von Andrea Viberti, und niemand, aber wirklich niemand kann Ihnen Paroli bieten. Na, zufrieden?«
Bei dem Stichwort ›Andrea Viberti‹ ist er einigermaßen perplex, aber ich habe jetzt wirklich keine Lust, Ingenieur Romolo Sesti Orfeo zu erklären, dass es sich dabei um einen ganz furchtbar eleganten Freund von mir handelt, in dessen Nähe sich die Hemden (wie ein anderer Freund von mir sagt) von ganz allein bügeln. Ich fahre einfach fort und riskiere, dass die Inhalte meiner verbalen Entgleisung auf einer Höhe sind mit dem Ungestüm meines Auftritts (ich rede allen Ernstes so schnell, dass er gar nicht mehr zum Nachdenken kommt).
»Und da es nun mal so steht, lassen Sie uns doch endlich Schluss machen mit diesem Affentheater von Prozess, mit dem Fernsehen als einzig wichtigem Schauplatz der Verteidigung und dem ganzen Mist. Ihnen dürfte doch auch klar sein, dass die Pissaktion von diesem Typen hier Ihren Sendeplan gehörig durcheinandergebracht hat; sonst hätten Sie mir vorher nicht diesen beschwörenden Blick zugeworfen. Ihre Reality-Show ist vorbei, Herr Ingenieur! Das wissen wir beide. Los, geben Sie es endlich zu. Der Porno …«
Hier halte ich an, um nach dem Echo des
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