Meine Seele weiß von dir
zögert. Sein Blick ist kühl. „Ehrlich gesagt, glaube ich nicht, dass es dir gefallen wird, was ich zu sagen habe, Sina-Mareen.“
Stundenlang sitze ich im Schrank. Am liebsten will ich nie wieder herauskommen. Mittlerweile ist es ziemlich stickig hier drinnen. D as verrät mir, dass die Sonne genau vor dem Fenster steht, auf das Möbel fällt und das Opal der Oberfläche silbrigweiß schimmert wie Perlmutt in einer Muschelschale.
Ich habe automatisch angenommen, dass es so ist, wie Doktor Romberg in der Klinik behauptet hat, und alle da draußen mich mögen. Meine Familie, meine Freunde und mein Mann. Vor allem mein Mann, der mich nicht nur mögen, sondern mich lieben sollte. Von ganzem Herzen.
Ich habe nie damit gerechnet, ich könnte etwas über mich erfahren, das mich abstößt und mir überdeutlich vor Augen führt, dass ich nicht nur nichts über mein Leben weiß, sondern überhaupt nicht erfassen und fühlen kann, wer ich wirklich bin. Ich bin mir so fremd, dass es mir Angst macht. Nichts fühlt sich richtig an, alles ist völlig falsch und verquer!
Meine eigene Stimme, die noch gestern in Isis Garten behauptete, nie abtreiben zu können, klingt mir höhnisch im Ohr - und doch hat sie die Wahrheit ausgesprochen, wie mir klar wird. Und es ist noch immer wahr!
Sina-Mareen wollte scheinbar keine Kinder. Ich dagegen habe tief in mir gespürt, dass der Wunsch, Mutter zu werden, da ist. Und zwar ohne darüber nachzudenken, eine ganz natürliche und vor allem spontane Empfindung. Meine Empfindung!
Die Entscheidung, eine Schwangerschaft zu unterbrechen, ohne mit dem Vater des Kindes darüber zu reden, wie Sina-Mareen es offenbar so selbstverständlich getan hat, erscheint mir unvorstellbar.
Welche Charaktereigenschaften hat Sina-Mareen eigentlich?
Selbstverständlich nur gute.
Davon war ich stets ausgegangen.
Nur gute.
Ich könnte mich ohrfeigen für meine Naivität! Oder habe ich mich absichtlich derart blauäugig verhalten? Womöglich aus Sorge zu erfahren, was für ein Mensch ich bin?
Nein, was für ein Mensch ich war – denn Sina-Mareen ist weg. Das ist mir einmal mehr klar und deutlich bewusst. Sie ist verschwunden. Für immer! Ganz egal, was geschehen wird, ich habe mich verändert. Ich werde nie wieder wie sie sein.
Ich denke, ich bin weniger selbstsüchtig, nicht so gedankenlos und offener für die Belange und Gefühle meiner Mitmenschen.
Ich bin Sina. Einfach nur Sina.
Die Frau im Schrank.
Kapitel 12
Sonntagnachmittag.
Leanders schwarzes Hemd, das ich an den Hüften zusammengeknotet und zu einer hellen Leinenhose angezogen habe, steht mir gut.
Der Gedanke, dass er es noch gestern auf seiner nackten Haut getragen hat, macht mich ganz kribbelig. Von seinem Geruch, der dem Stoff entströmt und mich umfängt, bekomme ich weiche Knie.
Ich halte zwei Glasrahmen in den Händen. In dem einen steckt das Lindenblatt, in dem anderen die Schwarz-Weiß-Aufnahme von Leander, die ich mir von dem Kaminsims im Wohnzimmer geholt habe.
Es ist beinahe so, als wäre er bei mir und hätte seine Arme um mich gelegt. Diese vermeintliche Nähe beflügelt mich: Zum ersten Mal seit meinem Unfall gehe ich in mein Atelier, um wieder zu arbeiten.
Obwohl viel Licht durch die Fenster hereinfällt, schalte ich, ohne darüber nachzudenken, die Beleuchtung ein.
Es fühlt sich richtig an.
Ich stelle beide Rahmen auf die Fensterbank, sodass ich sie von meinem Arbeitsplatz aus gut sehen kann. Danach betrachte ich ein halb fertiges Collier, das neben einem Entwurf auf der Arbeitsfläche liegt und darauf wartet, vollendet zu werden. Es ist äußerst feingliedrig. Die eingefassten Mondsteine (ich weiß, dass es Mondsteine sind!) unterstreichen das noch und lassen es geradezu elfenhaft a nmuten.
Eine Karteikarte daneben verrät mir, dass es die Auftragsarbeit eines Kunden namens Holger Helin ist. Offensichtlich handelt es sich um ein Hochzeitsgeschenk, das zum ersten August überreicht werden soll.
Name, Adresse, Bestelldatum – alles ist gewissenhaft notiert und die Karte gehört wohl in den grauen Karteikasten, der in einer Ecke meines Schreibtisches steht.
Mechanisch ziehe ich an den Schubladen, rüttele an den Türen. Aber ich kann sie nicht öffnen. Das Ding ist natürlich noch immer abgeschlossen, der Schlüssel steckt nicht und ich habe keinen Schimmer, wo ich diesen üblicherweise aufbewahre.
Ich seufze resigniert und verspüre einen Anflug von Kopfschmerzen hinter der rechten Schläfe lauern. Ich
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