Meine Seele weiß von dir
Segel im Wind und ich lasse alles über mich ergehen.
„Ich habe dich vermisst“, murmelt er in mein Haar.
Er fasst nach meiner Hand und sucht meinen Blick. „ Aber das kannst du dir sicher denken, oder ?“
Das Leuchten in seiner grauen Iris ähnelt dem in den Augen eines Wolfes.
„Oder, Sina-Mareen?“
Ich stehe da wie ein toter Baum.
„Okay“, seufzt der Mann, nachdem wir uns eine ganze Weile angeschwiegen haben. „Es stimmt demnach , was sie im Dorf reden. Darum hast du dich auch nicht bei mir gemeldet. Du hast keine Ahnung, wer ich bin. Stimmt’s?“
Ich nicke. Gleichzeitig weiche ich ein, zwei Schritte zurück, um wenigstens ein bisschen Distanz zwischen uns herzustellen, obwohl er meine Hand nicht loslässt.
„Du bist so gesprächig wie meine Tante Luise.“ Er lacht auf. „Und die ist stumm wie ein Stockfisch.“
Wie der lachende Typ da so in Shorts und Laufshirt vor mir steht, kann ich mir nicht erklären, warum er vorhin bedrohlich auf mich wirkte. Außer vielleicht, weil meine Nerven noch immer ziemlich angespannt sind und eine tief in mir sitzende Angst überhand genommen hat.
„Entschuldige, das ist nicht wirklich witzig – aber wie du eben vor mir davongerannt bist“, wieder lacht er, „das fand ich schon ziemlich paradox.“
„Weshalb?“
„Na ja, weil wir sonst gemeinsam laufen. Jeden Freitagmorgen.“ Er tätschelt mit düsterer Miene seine Körpermitte. „Und ich außerdem noch montags.“ Dann macht er eine lustige, kleine Vorbeugung: „Gestatten? Heiko Hertz. Lehrer für Kunst und Deutsch am Umland Gymnasium, nicht verheiratet und dein Schattenmann.“
„Was soll das heißen: mein Schattenmann?“ Ich entziehe ihm endlich meine Hand, die in seiner Pranke ganz heiß und schwitzig geworden ist. Unauffällig wische ich sie an meiner Hose ab.
„Du läufst gewöhnlich in meinem Windschatten.“ Er deutet nacheinander vielsagend auf seine langen und meine wesentlich kürzeren Beine. „So verbrauchst du weniger Energie und kannst auf der Strecke besser durchhalten. Allerdings bist du momentan in keiner guten Form. Also los, komm, lass uns einfach ein bisschen laufen. Das entspannt, erfordert kein besonderes Wissen und reden musst du auch nicht.“
Er setzt sich in Bewegung, bleibt wieder stehen und wirft mir einen auffordernden Blick zu. „ Mach schon!“
Jetzt läuft er los. Gott sei Dank nicht sehr schnell. Ich finde, wenn auch zögerlich, meinen Platz dicht hinter ihm, leicht seitlich versetzt.
Heikos Grinsen und die Art, wie er mir zuzwinkert, haben etwas sehr Vertrauliches. In einvernehmliche m Schweigen finden wir rasch einen gemeinsamen Rhythmus. Ja, man merkt deutlich, dass wir ein eingespieltes Team sind. Ein unerwartetes Gefühl von Sympathie steigt in mir auf.
Heiko ist der Erste , der mich nimmt, wie ich jetzt bin, der sich mir gegenüber völlig normal verhält, überhaupt nicht gehemmt ist und einfach sagt, was er denkt.
Ich könnte ihm um den Hals fallen.
Kapitel 13
Als ich die Haustür aufschließe, singt Andrea Berg im Radio die letzten Töne von Du hast mich tausendmal belogen.
Noch während ich meine schmutzigen Schuhe ausziehe, versichert ein Interpret, den ich nicht kenne, dass er den Mond mit einem goldenen Lasso einfangen will. Ich verdrehe unwillkürlich die Augen. Dabei dämmert es mir, dass ich Schlager nicht ausstehen kann.
Aus der Küche weht ein appetitlicher Duft, eine Mischung aus dem Geruch von frisch gebrühtem Kaffee, Hefe und buttrigem Gebäck. Das alles zusammengenommen kann nur bedeuteten, dass die Haushaltshilfe zurück ist. Sofort verspüre ich eine leichte Nervosität vor dieser Begegnung.
Das Radio wird leiser gedreht. „Frau Hohwacht?“ Die Stimme ist mit einem kaum wahrnehmbaren osteuropäischen Akzent gefärbt. In der Küchentür erscheint eine mütterlich aussehende, leicht übergewichtige Frau mit nussbrauner Hochsteckfrisur, die tatsächlich eine Schürze trägt. „Frau Hohwacht!“ Geschäftig trocknet sie ihre Hände an der Schürze ab, kommt auf mich zu und bleibt abwartend stehen.
Ehe ich es recht begreife, ziehe ich sie in eine Umarmung. Frau Hischer duftet nach Kölnisch Wasser. Sie versteift sich kaum merklich unter meiner Berührung und hält mich anschließend auf Armeslänge von sich. Sie begutachtet mich kritisch, lächelt schließlich. „Sie schauen gut aus“, beteuert sie. „Wirklich gut!“
„Ich ... ich glaube, ich habe zugenommen“, stottere ich in dem Versuch, mich so normal
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