Meine Suche nach der besten Pasta der Welt
Selbstverständlich ist die Pasta per Hand gemacht, auf schönen alten Holzbrettern, die, wir haben unsere Lektion gelernt, dank ihrer Maserung für die ordentlich raue Oberfläche sorgen. Die Osteria gleicht einem Museum, denn Stefania und ihr Mann Carmelo sammeln alte Küchenutensilien, außerdem haben sie eine liebevoll gestaltete und sogar mehrsprachige Speisekarte zusammengestellt, die einem Rezeptbuch gleicht. Eigentlich soll man ja Restaurants mit Fotos in Speisekarten meiden, aber hier ist die Speisekarte in Vierfarbdruck und Spiralbindung nicht zur Fingerbestellung hilfloser Touristen gedacht, sondern in erster Linie Enzyklopädie.
Und auch Italiener werden um so manches Bild und so manche Erklärung dankbar sein, denn Sizilianisch ist eine ziemlich verrückte Sprache. Es ist Italienisch mit wahllos eingestreuten Konsonanten; zum Ausgleich werden die sich nun in der Minderheit befindlichen Vokale mit Betonungsakzenten besprengselt. Ein Beispiel: Sardellen heißen auf Italienisch acciughe und auf Sizilianisch etwa so: ccciùùgh.
Also, die Speisekarte beginnt mit dem Satz Ogghj ki cc’èni (»Was gibt es heute?«), und für mich sollte Pasta bis zum Abwinken auf dem Programm stehen. Es ging los mit Quadrucci ccò bruòru e paddunèdda, kleine, würfelförmige Nudeln in Kalbsbrühe, die noch mit Hackfleischbällchen verfeinert wurde. Eine große Keramikschüssel mit Schöpfkelle wurde auf den Tisch gestellt. Lecker, aber keine Offenbarung, dazu ist das Gericht schon fast zu gewöhnlich, außerdem spielen hier die Nudeln erkennbar nur die Nebenrolle; sie sorgen lediglich für eine gewisse Griffigkeit der Kalbsbrühe. Dann eine Überraschung: Ravioli mit Fleischsoße. Kein Anachronismus, denn man konnte sich auch vor hundert Jahren im ländlichen Sizilien schon ab und zu mal einen Eierteig leisten. Gefüllt waren die Ravioli mit Ricotta und Majoran. Majoran: was für ein wunderbares, unterschätztes Gewächs aus Gottes Kräutergarten. Als drittes Gericht bestellte ich Pasta ccô maccu , breite lange Pasta mit Saubohnen, welche so lange gekocht werden, dass sie zu einer breiartigen Masse zerlaufen. Als Abschluss gab es Lolli cchê favi, den apulischen Cavatelli nicht unähnlich. Hier werden die Saubohnen etwas raffinierter behandelt und mit Zwiebeln, Sellerie und Tomaten verfeinert, aber das waren dann doch ein paar Saubohnen zu viel.
Nach den vier Primi wollte mir Stefania auch noch unbedingt ihre Hauptgänge auftischen, denn das Hotel, von dem ich die Adresse bekommen hatte, war so unvorsichtig gewesen, mich in der Osteria als Gastro-Journalist anzumelden. Diesen Fehler hatte ich zuletzt im Jahr 1999 begangen. Damals war ich für den Playboy auf einer Reportage
mit Trüffeljägern im Piemont und hatte vorab den Bürgermeister eines winzigen Ortes angeschrieben und um Kontaktvermittlung zu einigen Tartufai gebeten. (Hätte ich ein paar Jahre mit der Reportage gewartet, hätte ich es ganz einfach googeln können.) Der Bürgermeister hatte das Anschreiben der örtlichen Presse gesteckt, die am Tag unserer Ankunft unter der Überschrift »Häschen auf Trüffeljagd« mit einem wahllos herausgegriffenen Nacktfoto aufmachte. Als der Fotograf und ich ankamen, hatten sich alle Einwohner auf dem Dorfplatz versammelt, es fehlte nur noch die Kapelle. Einige erwarteten tatsächlich, dass sich aus unserem kleinen Mietwagen ein paar halbbekleidete Mädchen schälen würden.
Was Stefanias Offerten anbetraf (Bauchfleisch? Kaninchen? Kutteln?), lehnte ich ab und schleppte mich an die frische Luft, wo ich erst langsam wieder zu mir fand. Der Tag sollte noch lang werden.
Am Abend nämlich war ich in Scoglitti, einem kleinen Fischerort, wo mir ein sehr ungewöhnliches Lokal versprochen wurde. Ach, schön, endlich wieder am Meer. Das Restaurant heißt »Viri ku c’è«, das heißt auf Sizilianisch »Schau mal, wer da ist.« Es liegt an der Uferpromenade und wird von einem Haufen junger Männer betrieben, die in einem Raum im Erdgeschoss kochen (oder, wie ich bald erfahren sollte, eben auch nicht kochen). Gegessen wird im ersten Stock, auf einer Terrasse, zu der eine Treppe führt. Die Einrichtung: weiße Wände,
weiße Holzstühle, weiße Tische. Hier und da hängen Plakate mit antiken Bordell-Aushängen (»halbe Stunde 5 Lire, ganze Stunde 7,20 Lire«) und anzüglichen Sprüchen (»Nicht das Schwein wird alt, sondern der Alte wird zum Schwein« – das klingt auf Italienisch wegen des gleichen bestimmten Artikels besser).
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