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Meine Tiere, mein Leben

Meine Tiere, mein Leben

Titel: Meine Tiere, mein Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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jetzt gehen.«
    »Sie haben noch Zeit für ein Glas«, brummte Phin.
    In der Küche brüllte er sein gewohntes »Mutter«; aber es klang nicht so kraftvoll wie sonst. Er ließ sich auf einen Stuhl fallen und starrte in sein Glas Nutty Brown. »Ehrlich, mein Junge, diesmal haben Sie mich völlig durcheinander gebracht.« Er seufzte und rieb sich das Kinn. »Zum Teufel, ich weiß überhaupt nicht, was ich Ihnen sagen soll.«

6 - Micks Augen geht es besser
     
    ES WAR NEUN UHR ABENDS , es regnete in Strömen, und ich war immer noch bei der Arbeit. Stöhnend hielt ich mich am Lenkrad fest und rutschte auf dem Sitz hin und her. Meine müden Glieder schmerzten.
    Warum hatte ich bloß diesen Beruf? Hätte ich mir nichts Einfacheres und Gemütlicheres aussuchen können – zum Beispiel Kohlebergbau oder Holzfällerei? Schon vor drei Stunden, auf dem Weg zu einer kalbenden Kuh, hatte mich das Selbstmitleid überfallen. Die Geschäfte auf dem Marktplatz von Darrowby waren geschlossen, und trotz des kalten Nieselregens strahlten die Häuser ein behagliches Gefühl von Feierabendruhe aus, von getaner Arbeit, prasselnden Kaminen, guten Büchern und duftendem Tabakrauch. All das hätte auch ich haben können, und dazu noch Helen – zu Hause in unserem gemütlichen Heim.
    Ich glaube, so richtig verdrießlich wurde ich, als ich einen Wagen voller junger Leute vom Drover’s fortfahren sah: drei Mädchen und drei Burschen, gut gelaunt und fein gemacht, wahrscheinlich auf dem Weg zu irgendeiner Tanzparty. Alle hatten es bequem, alle hatten ihren Spaß – außer Herriot, der auf die kalten, nassen Berge zuratterte und nichts als Müh’ und Plage vor sich hatte.
    Auch der Fall, zu dem man mich gerufen hatte, konnte mich nicht aufmuntern. Die dünne kleine Färse lag in einem baufälligen Schuppen, dessen Boden mit alten Blechdosen, zerbrochenen Backsteinen und anderem Gerumpel übersät war. Ich konnte kaum erkennen, worüber ich stolperte, denn das einzige Licht stammte von einer rostigen Öllampe, und selbst deren flackerndes Flämmchen drohte jeden Moment vom Wind ausgeblasen zu werden.
    Zwei Stunden lang rackerte ich mich in dem Schuppen ab. Ich musste das Kalb Zentimeter für Zentimeter herausziehen. Es war keine Fehllage, es war nur alles sehr eng, und die Färse blieb die ganze Zeit über auf der Seite liegen, sodass ich mich zwischen den Steinen und Dosen auf dem Boden herumrollen musste und nur gelegentlich aufstehen konnte, um zum Wassereimer zu stolpern.
    Jetzt saß ich mit steif gefrorenem Gesicht wieder in meinem Wagen, meine Haut war unter den Kleidern wund gescheuert, und ich fühlte mich wie gerädert. Ich versank fast in Selbstmitleid, als ich in das winzige Dörfchen Copton bog. An warmen Sommertagen hatte mich der idyllische Ort immer an ein besonderes Fleckchen in Perthshire erinnert. Die einzige Straße schlängelte sich an einem grünen Abhang entlang. Oberhalb der Häuser erstreckte sich eine dunkle Ansammlung großer Bäume bis zum heidebewachsenen Hochland empor.
    An diesem Abend jedoch war Copton düster und ausgestorben. Von meinen einsamen Scheinwerfern erleuchtet, schlug der Regen gegen die fest verschlossenen Häuser. Nur das Licht des Dorfpub fiel sanft auf die nasse Straße. Unter dem wild im Wind schaukelnden Schild des Fox and Hounds blieb ich stehen, folgte einem inneren Impuls und öffnete die Tür. Ein Bier würde mir jetzt ganz bestimmt gut tun.
    Freundliche Wärme schlug mir entgegen, als ich in den Pub trat. Es gab keine Theke, nur Holzbänke mit hoher Rückenlehne und Tische aus Eichenholz unter den weiß getünchten Wänden einer umgebauten Bauernküche. In einem alten schwarzen Kochherd knisterte ein Holzfeuer, und darüber tickte die Wanduhr. Es ging hier nicht so lebhaft zu wie in den modernen Pubs, aber es war ein freundliches Lokal.
    »Na, Mr. Herriot, bei der Arbeit gewesen?«, sagte mein Nachbar, als ich mich auf die Holzbank sinken ließ.
    »Ja, Ted. Sieht man’s mir an?«
    Der Mann blickte auf meinen schmutzigen Regenmantel und die dreckigen Stiefel. »Nun ja, Sie sind ja nicht in Sonntagskleidung. Sie habe Blut auf der Nase und Kuhmist am Ohr.« Ted Dobson war ein kräftiger Viehzüchter in den Dreißigern, und seine weißen Zähne blitzten bei seinem Grinsen auf. Auch ich lächelte und entfaltete mein Taschentuch. »Komisch, dass man sich bei solchen Gelegenheiten immer an der Nase kratzen muss.«
    Ich blickte mich im Raum um. Etwa zwölf Männer saßen vor ihren

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