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Meine Tiere, mein Leben

Meine Tiere, mein Leben

Titel: Meine Tiere, mein Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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Süße«, rief er und verschwand.
    Einen Augenblick lang war der Raum sehr leer und still, dann sagte Miss Harbottle säuerlich: »O dieser Mann! Entsetzlich!«
    Als ich in den Hof einbog, warteten Phin und seine drei Söhne schon auf mich. Die jungen Leute sahen deprimiert aus, aber Phin war einfach nicht unterzukriegen. »Da ist er ja, unser guter Junge«, schrie er. »Jetzt geht alles klar.« Er summte sogar eine kleine Melodie, als wir zu dem Verschlag gingen, aber nachdem er einen Blick über die Tür geworfen hatte, sank sein Kopf auf die Brust, und die Hände klammerten sich noch fester an die Hosenträger.
    Der Bulle stand wie angewurzelt in der Mitte des Verschlages. Sein großer Brustkorb hob und senkte sich unter mühsamen, schweren Atemzügen. Das Maul war weit offen, er hatte Schaumblasen vor den Lippen und den geweiteten Nüstern, seine Augen starrten angstvoll auf die Wand. Dies war keine Lungenentzündung, es war ein krampfhaftes und vielleicht hoffnungsloses Ringen um Atem.
    Er bewegte sich nicht, als ich das Thermometer einführte, und obwohl meine Gedanken sich überschlugen, fürchtete ich, die halbe Minute werde diesmal nicht ausreichen. Ich hatte eine beschleunigte Atmung erwartet, konnte aber nichts dergleichen feststellen.
    »Armer alter Kerl«, murmelte Phin. »Er hat mir die besten Kälber gezeugt, die ich je gehabt habe, und er ist so gutmütig wie ein Schaf. Ich hab gesehen, wie meine Enkel unter seinem Bauch durchgelaufen sind, und er hat überhaupt nicht darauf geachtet. Es ist entsetzlich, ihn so leiden zu sehen. Wenn Sie nichts tun können, sagen Sie’s mir, dann hole ich die Flinte.«
    Ich nahm das Thermometer heraus. Dreiundvierzig Komma drei. Unmöglich! Ich schüttelte das Thermometer heftig, schob es nochmals in den After und ließ es eine Minute drinnen, damit ich Zeit zum Nachdenken hatte. Als ich dann nachsah, waren es wieder dreiundvierzig Komma drei Grad.
    Was um Himmels willen war das? Es konnte Milzbrand sein... musste es sein... und doch... Ich blickte hinüber zu der Reihe von Köpfen über der Halbtür; sie warteten darauf, dass ich etwas sagte, und ihr Schweigen ließ das qualvolle Ächzen und Keuchen noch schlimmer erscheinen. Über den Köpfen sah ich ein tiefblaues Himmelsviereck, und gerade verdeckte eine Wolke die Sonne.
    Als sie vorübergeschwommen war, traf mich ein blendender Strahl, sodass ich die Augen schloss. Paradoxerweise ging mir dabei ein Licht auf.
    »War er heute draußen?«, fragte ich.
    »Natürlich, er war den ganzen Morgen auf der Wiese angekettet. Bei diesem schönen, warmen Wetter...«
    »Holen Sie schnell einen Gartenschlauch. Sie können ihn an dem Hahn im Hof anschließen.«
    »Einen Gartenschlauch? Was zum Teufel...«
    »Ja, beeilen Sie sich – er hat einen Sonnenstich.« In weniger als einer Minute war der Schlauch angeschlossen. Ich drehte ihn voll auf und ließ den kalten Wasserstrahl über das gewaltige Tier fließen – über Kopf und Hals, die Rippen entlang, die Beine hinauf und herunter. So spritzte ich etwa fünf Minuten – allerdings kam es mir viel länger vor, denn ich wartete auf ein Zeichen der Besserung. Ich dachte schon, ich hätte mich geirrt, aber plötzlich sah ich, dass der Bulle einmal tief schluckte.
    Das war wenigstens etwas – bei seinem verzweifelten Bemühen, Luft in die Lungen zu bekommen, hatte er seinen Speichel nicht hinunterschlucken können. Ich begann eine deutliche Veränderung bei dem Bullen festzustellen. Er sah nicht mehr so verängstigt aus. Und ging der Atem nicht langsamer?
    Dann schüttelte sich der Bulle, wandte den Kopf und sah uns an. Einer der jungen Männer flüsterte ehrfürchtig: »Donnerwetter, es hat geholfen!«
    Ich freute mich. Nichts in meinem Berufsleben hat mir jemals größeres Vergnügen bereitet, als in diesem Verschlag zu stehen, den rettenden Wasserstrahl zu dirigieren und zu beobachten, wie der Bulle es genoss. Am liebsten hatte er es im Gesicht, und während ich vom Schwanz hinauf den dampfenden Rücken abspritzte, drehte er seine Nase zum Wasser hin, wiegte den Kopf hin und her und blinzelte selig.
    Nach einer halben Stunde sah er schon fast normal aus. Seine Brust hob und senkte sich noch ein bisschen hastig, aber er hatte keine Beschwerden mehr. Ich maß noch einmal die Temperatur. Sie war auf vierzig Komma vier heruntergegangen.
    »Bald wird er wieder ganz in Ordnung sein«, sagte ich.
    »Aber einer der Burschen sollte ihn noch etwa zwanzig Minuten lang besprengen. Ich muss

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