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Meine Tiere, mein Leben

Meine Tiere, mein Leben

Titel: Meine Tiere, mein Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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sehr dankbar.«
    Als ich nach Hause fuhr, wurde mir klar, dass ich es nicht geschafft hatte, ihn davon zu überzeugen, dass seinem Hund überhaupt nichts gefehlt hatte. Er war überzeugt, dass ich Myrtle das Leben gerettet hatte. Es war ein ungewöhnlicher Besuch gewesen, und während mir der Zwei-Uhr-nachts-Whisky im Magen brannte, kam ich zu dem Schluss, dass dieser Humphrey Cobb zwar ein recht komischer kleiner Mann war, dass ich ihn aber trotzdem mochte.
     
    Nach dieser Nacht sah ich ihn häufig mit Myrtle über die Wiesen und Felder gehen. Wegen seiner fast kugeligen Gestalt schien es fast, als rollte er durch das Gras, aber er benahm sich immer vernünftig, außer dass er mir jedes Mal überschwänglich dafür dankte, dass ich Myrtle den Klauen des Todes entrissen hätte, wie er sagte.
    Dann plötzlich waren wir wieder am Anfang der Geschichte. Eines Nachts, kurz nach Mitternacht, klingelte das Telefon, und als ich den Hörer abnahm, hörte ich die weinerliche Stimme schon, bevor der Hörer mein Ohr berührte.
    »Uuh... Uuh... Jim! Myrtle geht es wieder so schlecht. Kommst du bitte?«
    »Was... was ist es denn diesmal?«
    »Sie hat so komische Zuckungen.«
    »Zuckungen?«
    »Ja, sie zuckt irgendwie ganz schrecklich. Bitte, komm, Jim, lass mich nicht warten. Ich habe eine Todesangst. Bestimmt hat sie Staupe.« Wieder Schluchzen.
    Ich überlegte. »Sie kann nicht die Staupe haben, Humphrey. Die Staupe tritt nicht so plötzlich auf.«
    »Ich bitte dich, Jim«, sagte er wieder, als ob er nichts gehört hätte. »Sei ein guter Kerl. Bitte, komm, und sieh dir Myrtle an.«
    »Gut«, sagte ich müde. »Ich bin in ein paar Minuten bei dir.«
    »Du bist wirklich ein guter Kerl, Jim, ein guter Kerl...«
    Ich legte den Hörer auf.
    Ich zog mich in Ruhe an – nicht so hektisch wie beim ersten Mal. Es klang ganz nach einer Wiederholung. Aber warum wieder nach Mitternacht? Ich war überzeugt, dass es auch diesmal wieder falscher Alarm war. Und doch – man konnte nie wissen.
    Die gleiche Schwindel erregende Whiskywolke schlug mir bei der Begrüßung entgegen. Und Humphrey polterte zweimal schnaufend und stöhnend gegen mich, als er mich zur Küche hin drängte. Er deutete auf den Korb in der Ecke.
    »Da liegt sie«, sagte er und rieb sich die Augen. »Ich komme gerade aus Ripon zurück und hab sie so vorgefunden.«
    »Wieder beim Rennen gewesen, was?«
    »Ja, ich habe gewettet und getrunken und meinen armen leidenden Hund allein zu Hause gelassen. Ich bin ein Schuft, Jim, ja, das bin ich.«
    »Unsinn, Humphrey. Das habe ich dir doch schon damals gesagt. Du tust ihr nichts damit zuleide, wenn du mal einen Tag fort bist. Aber was ist mit den Zuckungen? Sie sieht doch völlig in Ordnung aus – im Moment jedenfalls.«
    »Ja, jetzt hat sie damit aufgehört. Aber als ich nach Hause kam, machte ihr Hinterbein immer so...« Und er machte eine zuckende Bewegung mit der Hand.
    Ich stöhnte im Stillen. »Vielleicht wollte sie sich kratzen oder eine Fliege wegjagen.«
    »Nein, es war irgendwie anders. Ich weiß, dass sie leidet. Sieh dir doch diese Augen an.«
    Ich sah, was er meinte. Myrtles Beagleaugen waren ganze Seen voller Gefühl, und es war nicht schwer, einen schmelzenden Vorwurf in ihnen zu lesen.
    Obwohl ich wusste, dass es überflüssig war, untersuchte ich sie. Ich kannte das Ergebnis, die Diagnose – ohne Befund.
    Aber als ich versuchte, dem kleinen Männchen zu erklären, dass seinem Liebling nichts fehlte, wollte er es nicht wahrhaben.
    »Bitte, gib ihr doch eine von deinen wunderbaren Tabletten«, bat er. »Letztes Mal ist sie gleich davon gesund geworden.«
    Ich spürte, dass ich ihn beruhigen musste. Also bekam Myrtle eine neue Vitaminzufuhr.
    Humphrey war außerordentlich erleichtert und schwankte zufrieden auf den Salon und die Whiskyflasche zu.
    »Ich brauche ein bisschen was, was mich aufrichtet nach diesem Schock«, sagte er. »Und du brauchst auch einen, nicht wahr, Jim, mein Junge?«
    Dieses Spielchen wiederholte sich in den folgenden Monaten noch mehrere Male – immer dann, wenn er beim Rennen gewesen war, und immer zwischen Mitternacht und ein Uhr. Ich hatte also reichlich Gelegenheit, das Geschehen zu analysieren und kam zu einem auf der Hand liegenden Schluss.
    Meistens war Humphrey ein ganz normaler, gewissenhafter Hundebesitzer, aber wenn er zu viel Alkohol getrunken hatte, schlug seine Zuneigung in weinerliche Sentimentalität um, und er wurde von Schuldgefühlen geplagt. Ich fuhr jedes Mal zu ihm,

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