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Meine Tiere, mein Leben

Meine Tiere, mein Leben

Titel: Meine Tiere, mein Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herriot
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wenn er nachts anrief, denn ich wusste, dass er in tiefer Not war und todunglücklich gewesen wäre, wenn ich mich geweigert hätte zu kommen. In Wirklichkeit behandelte ich Humphrey, nicht Myrtle.
    Es amüsierte mich, dass er mir meine Beteuerungen, mein Besuch sei eigentlich unnötig gewesen, nicht ein einziges Mal glaubte. Jedes Mal wieder war er überzeugt davon, dass meine Zaubertabletten dem Hund das Leben gerettet hätten.
    O nein, ich ließ nie die Möglichkeit außer Acht, dass Myrtle ihn ganz bewusst mit ihrem traurigen Blick traktierte. Hunde können sehr wohl ihre Missbilligung ausdrücken. Ich nahm meinen eigenen Hund fast überall mit hin, aber wenn ich ihn einmal zu Hause ließ, um mit Helen ins Kino zu gehen, legte er sich unter unser Bett und schmollte, und wenn er wieder hervorkam, ignorierte er uns mindestens ein, zwei Stunden lang.
    Ich zitterte, als Humphrey mir erzählte, dass er beschlossen habe, Myrtle belegen zu lassen. Ich ahnte, dass mir eine schwere Zeit bevorstand. Genauso war es dann auch. Der kleine dicke Mann flüchtete sich in eine Reihe von alkoholischen Angstzuständen, die alle unbegründet waren, und entdeckte während der neun Wochen immer wieder neue eingebildete Symptome an Myrtle.
    Ich war sehr erleichtert, als sie fünf gesunden Jungen das Leben schenkte. Nun, dachte ich, würde ich etwas mehr Ruhe haben. Tatsache war, dass ich Humphreys nächtliche Anrufe satt hatte. Ich hatte es mir zum Prinzip gemacht, mich nie zu weigern, nachts aufzustehen und zu ihm zu gehen. Aber das Maß war voll. Und bei einem der nächsten Male würde ich Humphrey das sagen müssen.
     
    Der Fall trat ein, als die Jungen ein paar Wochen alt waren. Ich hatte einen schrecklichen Tag hinter mir. Morgens um fünf ein Uterus-Vorfall bei einer Kuh, dann stundenlange Fahrten zu verschiedenen Höfen, ohne Unterbrechung, ohne Mittagessen, und am Abend hatte ich mich mit behördlichen Formularen abgequält, von denen ich einige, wie ich vermutete, falsch ausgefüllt hatte. Als ich hundemüde ins Bett ging, brummte mir der Kopf, so sehr hatte ich mich verkrampft. Ich lag lange wach und versuchte, die Formulare zu vergessen, und es war schon ein ganzes Stück nach Mitternacht, als ich endlich einschlief.
    Ich habe immer die komische Vorstellung gehabt, dass, wenn ich wirklich einmal dringend Schlaf brauche, prompt nachts ein Anruf kommt. Als das Telefon in mein Ohr schrillte, war ich also im Grunde nicht überrascht.
    Die Leuchtzeiger des Weckers zeigten, dass es 1 Uhr 15 war. »Hallo«, brummte ich.
    »Uuh... Uuh... Uuh!« Das Gejaule kam mir nur zu bekannt vor. Ich biss die Zähne zusammen. Das hatte mir gerade noch gefehlt!
    »Humphrey! Was ist denn nun schon wieder?«
    »O Jim, Myrtle stirbt, wirklich, ich weiß, dass sie stirbt. Komm schnell, Junge, komm schnell!«
    »Sie stirbt?« Ich holte ein paar Mal rasselnd Luft. »Woher weißt du das?«
    »Also... sie liegt auf der Seite und zittert.«
    »Sonst noch was?«
    »Ja, die Frau sagte, Myrtle hätte so gequält ausgesehen und sei so steifbeinig gelaufen, als sie sie heute Nachmittag in den Garten ließ. Ich bin noch nicht lange aus Redcar zurück, verstehst du?«
    »Du bist also wieder beim Pferderennen gewesen, ja?«
    »Stimmt... und ich habe meinen Hund vernachlässigt. Ich bin ein Schuft, ein ganz gemeiner Schuft.«
    Ich schloss die Augen in der Dunkelheit. Es würde immer so weitergehen mit den eingebildeten Symptomen. Diesmal zitterte sie, sah gequält aus, lief steifbeinig. Keuchen, Zuckungen, Kopfnicken, die Ohren schütteln, das hatten wir alles schon gehabt – was würde das Nächste sein?
    Genug war genug. »Hör zu, Humphrey«, sagte ich. »Mit deinem Hund ist alles in Ordnung. Ich habe dir doch immer wieder gesagt...«
    »O Jim, red nicht so lang. Bitte, komm. Uuh... Uuh!«
    »Ich komme nicht, Humphrey.«
    »Bitte, Jim, sag das nicht! Es geht mit ihr zu Ende, ich sage es dir.«
    »Ich meine es ernst. Wir vergeuden nur meine Zeit und dein Geld. Geh lieber ins Bett. Myrtle fehlt nichts.«
    Während ich zitternd unter meiner Bettdecke lag, merkte ich, dass es eine ziemlich zermürbende Sache war, sich zu weigern, irgendwohin zu fahren. Es hätte mich weniger Kraft gekostet, aufzustehen und einer weiteren Vorstellung im Cedar House beizuwohnen, als zum ersten Mal in meinem Leben »Nein« zu sagen. Aber so konnte es nicht weitergehen. Ich musste fest bleiben.
    Von Gewissensbissen hin und her gerissen, sank ich endlich in einen leichten Schlaf. Aber

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