Meine Trauer geht - und du bleibst
gestellt, geschweige denn beantwortet wird. Die zentrale Frage hieße nämlich: Wohin soll ich meinen geliebten Menschen loslassen? Solange der Trauernde diese Frage nicht beantworten kann, erlebt er das Loslassen als einLoslassen ins Vergessen oder ins Nichts. Dagegen wehren sich Trauernde zu Recht, wollen sie doch ihren geliebten Menschen mindestens in der Erinnerung behalten. Die Liebe in der Trauer will jedoch meist viel mehr. Sie will, dass der geliebte Mensch als Person und inneres Gegenüber gerettet und gehalten bleibt. Das Finden eines sicheren Ortes gibt Antwort auf die Frage, wohin wir den geliebten Menschen loslassen und gehen lassen können.
Eine siebzigjährige Frau verliert ihren fast vierzigjährigen Sohn, der völlig überraschend an Herzversagen stirbt. Sie beginnt eine Psychotherapie, die ihr hilft, ihre Trauer auszudrücken. Doch dann bricht sie die Therapie ab, weil die Therapeutin ihr indirekt und direkt signalisiert, sie solle allmählich ihren Sohn loslassen. Sie sagt dazu: »Ich will doch meinen Sohn nicht ein zweites Mal verlieren.« Der äußere Verlust ist für sie traurig genug. Der Impuls zum Loslassen beschwört für sie die Gefahr herauf, ihren Sohn auch nun in ihrer Seele zu verlieren. Erst als sie für ihren Sohn einen sicheren Ort findet, kann sie seine reale, äußere Abwesenheit allmählich anerkennen. Sie kann ihren Sohn auch an seinen sicheren Ort gehen lassen und ihn dort lassen.
Das Loslassen wird nun zu einem Dort-hingehen-Lassen an den sicheren Ort und zu einem Dort-Lassen am sicheren Ort. Ich kann den geliebten Menschen dort sein lassen und ihn an seinem sicheren Ort da sein lassen . Damit ist auch gemeint, dass mein geliebter Mensch dort ein eigenes, sein neues Da-Sein hat. Er ist zwar ferne, aber an seinem Ort da und damit an seinem sicheren Ort existent.
Ich bleibe in meinem Da-Sein zurück – und du blickst liebend auf mich
Wenn Trauernde ihren geliebten Menschen an seinem Ort sein lassen können, wird ihnen bewusst, dass sie ohne ihn zurückbleiben. Das löst noch einmal Trauer aus, weil erst jetzt ganz deutlich wird, dass das eigene Dasein ein Dasein eines Zurückgebliebenen ist und bleiben wird. Ich bin da, aber ohne dich. Mein Da-Sein ist immer ein äußeres Weg-Sein vom geliebten Menschen. Das Missen und Sehnen zieht auch den Trauernden immer wieder zumgeliebten Menschen. Dabei spürt der Trauernde, dass er gegen seinen Wunsch, beim geliebten Mensch zu sein, hier bleiben muss. Die Hinterbliebenen müssen lernen, dieses eigene Da-Sein ohne den geliebten Menschen zu akzeptieren. Es dauert lange, bis Hinterbliebene sagen könne: »Ich bleibe hier. Das ist mein Leben und ich will es hier leben.« Vielen Trauernden hilft der Gedanke, dass der Verstorbene wohlwollend auf sie herabblickt. Damit ist mein Leben als Hinterbliebener zunächst vom Verstorbenen akzeptiert. Allmählich kann ich das als Trauernder nachvollziehen: Ich kann und darf hier bleiben, weil mein geliebter Mensch es nicht nur für richtig hält, sondern mir wünscht, dass ich dieses Leben hier gut und irgendwann auch wieder glücklich leben kann.
Du sagst: »Mir geht es hier gut!« – und so kann ich dich allmählich gut dort sein lassen
Der sichere Ort hat noch eine andere Bedeutung, die sich mehr und mehr entfaltet. Am sicheren Ort ist der geliebte Mensch nicht einfach nur existent, vielmehr ist der sichere Ort immer auch ein guter und heilsamer Ort für den Verstorbenen. Viele Trauernde können aus ihrem inneren Wissen heraus sagen, dass es dem Verstorbenen an seinem Ort gut geht. Die im Dialog mit dem geliebten Menschen geäußerte Sorge oder Frage, wie es dem geliebten Verstorbenen geht, wird durchweg mit: »Mir geht es hier, an meinem Ort, in meiner Seinssphäre gut. Mach dir keine Sorgen um mich«, beantwortet.
Mit dem Wissen, dass es meinem geliebten Menschen dort gut geht, kann ich allmählich auch zustimmen, dass er dort ist. So können wir im Verlaufe unseres Trauerweges den geliebten Menschen nicht nur am sicheren Ort lassen, sondern ihn gut dort sein lassen. Ich kann auch von daher seinem Dort-Sein am sicheren Ort zustimmen, auch wenn ein Stück traurige Wehmut darüber bleiben wird, dass mein geliebter Mensch nicht mehr hier ist.
MachenSie sich bewusst, dass Sie Ihren geliebten Menschen im Äußeren – zum Beispiel bei der Beerdigung verabschieden mussten und auf dem bisher zurückliegenden Trauerweg eine innere Beziehung zu Ihrem geliebten Menschen gefunden haben. Sagen Sie Ihrem
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