Meine Trauer geht - und du bleibst
die innere Weisheit der Seele zur Geltung kommen. Auch wenn bei der Durchführung der Imaginationen noch einmal die Trauer und der Schmerz heftig aufsteigen, entfalten die vorgeschlagenen Imaginationen eine heilsame Wirkung.
Wenn Sie wenig Erfahrung mit Imaginationen besitzen oder zurzeit keinen Zugang zu dieser Methode finden, können Sie sich die inneren Bildreisen langsam und laut vorlesen. Lassen Sie die Bilder dann nachklingen, denken Sie immer wieder an die Bilder oder lassen eigene Bilder dazu aufsteigen. So gewinnen Sie die nötige Sicherheit, um sich allmählich intensiv auf die Imaginationen einzulassen und sie wie vorgeschlagen durchzuführen.
Die Übungen dieses Buches ersetzen keine psychologische Begleitung (wie Seelsorge, psychologische Beratung oder Psychotherapie), die bei schweren Verlusten zu empfehlen ist. Beim Tod des Angehörigen durch Suizid ist eine psychotherapeutische Begleitung dringend anzuraten.
Teil I
Was es mir schwer macht, meine Trauer gehen zu lassen – und wie es mir dennoch gelingen kann
Bruchteil
Wenn ich
ich sage
meine ich auch
dich ohne den ich nicht
singen könnte
meine Trauer
die auch Freude ist
an unserem Zusammenspiel
Bruchteil
meines bestürzenden
Überlebens
Rose Ausländer
Was ist das eigentliche Ziel des Trauerprozesses? In meinem Traueransatz ist es nicht das übliche, in der Trauerpsychologie immer wieder genannte und geforderte Ziel, den geliebten Menschen »loszulassen«. Im Gegenteil: Im Verlauf meines Trauerweges finde ich eine neue, intensive Beziehung zu meinem geliebten Menschen. Der Schmerz und die Trauer zeigen mir unerbittlich, dass die Liebe in der äußeren Realität nicht mehr konkret gelebt werden kann. Aber die Trauer und die Liebe in der Trauer eröffnen eine neue Form des Liebens. Dazu sucht und findet die Trauer für unseren geliebten Menschen einen sicheren Ort , an dem er auf seine neue Weise sein und leben kann (vgl. mein erstes Buch »Meine Trauer wird dich finden«, Stuttgart 2005, S. 39 ff.). Über diesen sicheren Ort kann ich dann diese Beziehung zu meinem geliebten Menschen leben.
Ist dies erreicht, dann kann und darf die Trauer (!) gehen. So ist die Lösung der Trauer ein Ziel im Trauerprozess. Ich kann und darf dann meine Trauer loslassen und sie verabschieden. Ich kann dann in mein Leben, in dem nicht mehr die Trauer die zentrale Rolle spielt, zurückkehren. Zu diesem Leben gehören der Verstorbene und meine Liebesbeziehung als ein wesentlicher und integraler Teil.
Allerdings gibt es auf dem Weg, die Trauer loszulassen, immer wieder Hindernisse. Dann bleibt die Trauer länger, als sie es von sich aus selbst wollte. Manchmal verhindern wir selbst bewusst oder unbewusst, dass die Trauer überhaupt gehen kann. Welchen Sinn haben diese Blockaden? Wollen und können wir sie lösen? Was ist erforderlich, damit wir diese schwierigen Klippen überwinden und dann unsere Trauer verabschieden können?
1. Noch hält mich meine Trauer –
und ich achte sie
Trauernde: Meine Trauer sitzt auf mir immer noch wie …
Trauerbegleiterin: Wie? Welches Bild fällt Ihnen dazu ein?
Trauernde: Wie ein Raubvogel mit großen Klauen.
Trauerbegleiterin: Noch sind Sie von der Trauer besetzt.
Trauernde schweigt.
Trauerbegleiterin: Und es gibt für Sie kein Entkommen aus der Trauer.
Trauernde: Ja, auch wenn ich mir das manchmal wünsche.
Trauerbegleiterin: Dann sehnen Sie sich danach, dass der Trauervogel seine Krallen löst und irgendwann davonfliegt.
Trauernde: Und doch kann ich mir das noch gar nicht vorstellen.
Nötig ist die Macht der Trauer – in ihr wohnt die Macht der Liebe
Wer einen geliebten Menschen verliert, der trauert anfangs in und mit seinem ganzen Körper. Die Trauer ist allmächtig und hat uns gänzlich im Griff. Der Satz »Ich trauere« stimmt deshalb nicht ganz. Genauer müsste man sagen: »Es trauert mich«, oder noch exakter: »Die Trauer trauert mich«. Das ist am Beginn der Trauer ganz normal und wird lange so bleiben. Auch wenn später die Intensität der Trauer abnimmt und es immer wieder Zeiten ohne Trauer gibt, bleibt sie doch gegenwärtig.
Warum tragen wir diese schlimme und scheinbar unendlich lange dauernde Trauer in uns? Warum ist sie in dieser Intensität überhaupt nötig? Warum ist die Trauer so lange da und kommt immer wieder neu wie in großen Überfällen? Dafür gibt es zwei wesentliche Gründe.
Zum Ersten zeigt uns die Intensität der Trauer die Größe des Verlustes an, der uns mit dem Tod
Weitere Kostenlose Bücher