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Meine Trauer geht - und du bleibst

Titel: Meine Trauer geht - und du bleibst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roland Kachler
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unseres geliebten Menschenzugemutet wird. Im Verlustschmerz spüren wir, wie groß die Leere ist, die das Ausbleiben und die Abwesenheit des geliebten Menschen in unserer Seele zurücklässt. Der Verlustschmerz legt offen, wie groß die Wunde ist, die in unserer Seele und in unserem Herzen klafft. Zugleich spüren wir im Schmerz den geliebten Menschen. Dies gleicht dem Erleben beim »Phantomschmerz«, bei dem wir den fehlenden Körperteil schmerzend wahrnehmen. Im Schmerz ist der Verstorbene nicht nur abwesend , sondern brennend und schmerzend anwesend . In der brennenden, geradezu rasenden Sehnsucht bricht sich die Liebe in der Trauer ihre Bahn. Der Kern der Trauer und ihre innerste Glut ist die Liebe zum Verstorbenen.
    Die Trauer ist also nicht nur das Gefühl für die äußere Abwesenheit, sondern zugleich auch das Gefühl für die innere Anwesenheit des Verstorbenen. Die Trauer ist die emotionale Reaktion auf den realen Verlust des geliebten Menschen und auf seine Abwesenheit. Sie ist aber auch ein Beziehungsgefühl , in dem der Trauernde den Verstorbenen spürt und eine innere Nähe zu ihm erlebt. Diese Dimension wurde in der bisherigen Trauerliteratur vollständig übersehen. Die Trauer wurde einseitig als Abschieds- und Verlustemotion verstanden. Diese Sicht greift aber nach meinem Verständnis und in dem von mir vertretenen Traueransatz viel zu kurz. Die Trauer will viel mehr. Sie hat nämlich – wie alle anderen Gefühle – auch eine Beziehungsdimension. Sie will, dass der Trauernde die innere Beziehung zum Verstorbenen findet und bewahrt. Die Trauer will die Liebe zum Verstorbenen von der äußeren in eine innere Beziehung wandeln. Dazu braucht es die Trauer!

    Zum zweiten übernimmt die Trauer die Macht in unserer Seele, weil uns niemand anderes besser in der Situation eines unendlich großen Verlustes zeigen kann, was jetzt angemessen ist. Die Trauer gibt uns jetzt auf dem Trauerweg vor, was unsere Seele zu tun hat. Dem können wir uns nicht entziehen. Die Trauer macht mit uns nun das, was getan werden muss, ob wir es wollen oder nicht, ob wir es mehr bewusst oder mehr unbewusst tun. Die Trauer selbst weiß, was für uns in der Situation der Trauer richtig und gut ist. Zuerst weist uns die Trauer an, den unendlichenSchmerz zu spüren und ihn zuzulassen. Sie will, dass wir über den Verlust und um den Verstorbenen klagen. Sie zeigt uns aber auch, wer im Mittelpunkt unseres Fühlens und Denkens steht, nämlich der Verstorbene.
Die Trauer braucht ihre eigene Zeit
    Deshalb hat die Trauer ihre ganz eigene Zeit und sie braucht ihre – manchmal unendlich scheinende – Zeit, in der sie im Leben des Trauernden präsent ist. Immer wieder fragen Trauernde: »Wie lange dauert die Trauerzeit?« Natürlich gibt es darauf klassische Antworten wie die, dass sie mindestens ein Jahr dauert. Aber schon für den Verlust eines Kindes stimmt diese Zeitangabe überhaupt nicht, ebenso wenig für den Verlust eines Partners oder einer Partnerin nach einer intensiven und lang dauernden Beziehung. Die Trauer lässt sich nicht beschleunigen oder abkürzen, wollen wir ihr nicht Schaden zufügen. Die Trauer beharrt auf ihrer eigenen Zeit, in der sie ihre ganz besonderen Aufgaben für uns tun will. Und weil alle tiefgreifenden seelischen Prozesse langsame Wachstumsprozesse sind, braucht die Trauer ihre eigene Zeit und bestimmt letztendlich, wann sie gehen will.
    Viele Trauernde fragen: »Wann wird es mir besser gehen?« So verständlich diese Frage ist, so steckt in ihr doch ein Missverständnis der Trauer. Natürlich ist die Trauer schmerzlich und belastend, und natürlich geht es uns mit dem Tod des geliebten Menschen unendlich schlecht. Und wie alle unangenehmen Gefühle möchten wir auch die Trauer und den Schmerz loswerden und beenden. Doch dagegen wehrt sich die Trauer zu Recht. Sie wehrt sich dagegen, als belastend oder als schlecht bewertet zu werden. Und wenn wir die Trauer zum Beispiel im Weinen zulassen, spüren wir auch die Erleichterung. Die Trauer fließt dabei ab und nimmt einen Teil des Schmerzes mit sich. Deshalb beharrt sie darauf, dass sie jetzt da sein will und da sein muss. Erst wenn sie ihre Aufgaben in unserer vom Verlust getroffenen Seele gelöst hat, erst dann wird sie sich allmählich verabschieden.
Der Trauer die Ehre geben und sie würdigen
    Wie sollen wir uns nun unserer Trauer gegenüber verhalten? Wie sollen wir mit ihr umgehen?
    Zuerst müssen wir ihr erlauben, dass sie in aller Ruhe ihre Arbeit tun

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