Meine Väter
Museum, in dem eine Ausstellung über OÅwiÄcim vor Hitler zu sehen ist, von einem einsamen österreichischen Zivildienstleistenden bewacht, der uns erfreut begrüÃt und glücklich ist, uns herumzuführen.
Meist sitze ich einsam hier herum, sagt er, im einsamsten Museum der Welt.
Der KZ -Tourismus sei sehr zurückgegangen. Er macht das Licht an, ein sparsames Licht.
Gepflegte Holzdielen, Gestühl aus Holz, halbrunde Fenster, leichtes Ocker an den Wänden. Das Museum strahlt Wärme aus, Bescheidenheit.
Bilder aus GroÃvaters Zeiten. Familienbilder, Liebes- und Ehepaare. Frauen und Kinder an einem Brunnen. Trotzige, starke Gesichter, aufmerksamer Blick. Bilder von weisen oder verrückten, humorvollen oder ängstlichen Menschen, Friedhofsbilder voll Melancholie. Mütter mit kleinen Kindern. Was muÃten sie alle später sehen? Was haben die Kleinen erlebt? Wuchsen sie kräftig genug heran, um fürs Schuften angestellt zu werden, hatten sie eine kleine Lebensfrist oder wurden sie gleich ins Gas getrieben?
Rabbiner mit Rauschebärten unter breiten Hüten oder
wildem Backenbart und kleinen Kappen. Rabbiner Shlomo Posner mit seiner Familie, er ist ausgewandert. Fotos von Pferdewagen, Karren, alten StraÃen. Kutschen sind nicht zu sehen, die Leute waren zu arm. Krüge, Vasen, Pistolen, Chanukkaleuchter, alte Gewänder hinter Glas. Briefe, Dokumente, der Stich der Schnapsfabrik: Old Polish Whisky von Jakob Haberfeld, Cuba Rum von Hennenberg. Bauernfuhren, Markt, die Brücke über die SoÅa. Bildnisse des Vereins der Auswanderer. Man hat alles zusammengetragen, was man fand.
Sie öffnet den Rucksack und holt das Bild ihres GroÃvaters heraus.
Unter diesen Menschen hat er gelebt. Hat sie überlebt.
Natürlich schaut er weg. Damit sie nicht sieht, was er denkt. Die Melancholie des assimilierten Juden, der Gedanken nachhängt, die er nicht verrät.
Einer, der nicht zu den Verfolgten gehören wollte. Der sich das Leiden verboten hat. Jedoch einer, der den Zweifel kannte.
Das Bild ihres GroÃvaters findet hier keinen Platz. Dennoch fühlt sie sich ihm näher, weil sie seine Umgebung kennt, die Gestalten seiner Zeit.
Wann endlich kann sie diese Denk-Bilder mit neuem Leben füllen?
Ein anspruchsloses Museum, das von einem ruhigen, einfachen Leben berichtet. Wir fragen nach. Wollen mehr über die OÅwiÄcimer Juden wissen, weil sie zur Stadt gehörten, und ob man sie vermiÃt.
Ja, meint der Zivildienstleistende, sie waren für die Stadt ein wesentliches Element. Durch sie entdecke ich ein anderes Polentum, das heute verloren ist. Ein den Juden zugeneigtes. Juden beteiligten sich am politischen Leben, traten den Parteien bei und waren Mitglieder des Stadtrats.
Die Stille, die diese Bilder umgibt. Sie erinnern sie an die Bilder ihrer GroÃmutter mütterlicherseits von der »guten alten Zeit«.
Hier war noch alles in Ordnung.
Dennoch: diese Stille kann sie nicht beschwichtigen. Unentwegt das Gefühl, nicht genug zu wissen. Sie ist ungeduldig mit sich selbst.
Ich gehe hinaus.
Neue Fragen bedrängen mich.
Ich frage nach der Assimilation.
Bis ins sechzehnte Jahrhundert, sagt PaweÅ, ging es den Juden darum, ihr Eigenes unverändert und unversehrt zu erhalten. Ihre Religion hieà sie, ihren Vorvätern treu zu bleiben und die Tradition zu pflegen. Sie hatten nicht vor, sich den anderen anzupassen. Dieser hartnäckige Wille wurde durch die Jahrhunderte der Verbannung und Wanderung noch verschärft. Polen gewährte ihnen lange ein gewisses Maà an geistiger und sozialer Autonomie. Spielraum. Niemand zwang sie zur Assimilation.
Doch zur Zeit meines GroÃvaters war die Situation eine andere, sage ich.
Das war die Folge einer Reihe von Katastrophen, die Polen im Lauf der Geschichte erschüttert hatten, sagt PaweÅ. Die dramatische Geschichte des Städtchens OÅwiÄcim am Zusammenfluà von Weichsel und SoÅa, das wiederholt seine Zugehörigkeit wechseln muÃte. Mit den ersten Pogromwellen zur Zeit des Ersten Kreuzzugs, die nicht mehr abrissen, fing es an. Ãber Jahrhunderte war OÅwiÄcim nicht nur ein Sammelbecken der Verfolgten, es wurde auch verschachert nach Gutdünken, bis weit ins 19. Jahrhundert. Erst verkaufte man OÅwiÄcim für 50 000 Silbermark an Polen, dann ging OÅwiÄcim vorübergehend an Ãsterreich, danach zum Deutschen Bund,
administrativ zum
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