Meine Väter
Auschwitz und die Judenfrage längst vergessen, so aber wird das Erinnern an die Schuld, die kostenpflichtig wäre, von Redenschreibern und den vortragenden Politikern zur Tapezierung des Gewissens verwendet.
Wir haben Krakau verlassen, fahren vorbei an der auf dem Hügel liegenden Villa des NS -Generalgouverneurs Hans Frank und ein paar unharmonisch gruppierten noblen Vorstadtvillen, die die polnische Welt besser aussehen lassen, als sie ist.
Je weiter wir ins Land fahren, desto bedrohter fühle ich mich. Bedroht von der Leere.
Sogleich frage ich mich, wo im deutschen Kopf der Osten beginnt und wie weit er reicht. »Osten« ist längst ein politischer Begriff, ist weitergeschleppte Propaganda und steht für politische Muffigkeit und Unbehaustheit. Solche Vorurteile abzulegen fällt immer noch schwer. Steht Deutschland etwa für Freundlichkeit und Behaustheit?
Versteppte Schneefelder, durchsichtige Waldfetzen, wirtschaftlich ausgebeutetes Land, das verarmte und resignierte Bauern zu einem Teil der Verödung überlassen. Früher, zur Zeit meines GroÃvaters, muà diese Landschaft eine karge Schönheit besessen haben. Heute ist es eine menschenleere Gegend, flach, ohne etwas, das meinen Blick fängt. Ermunternd ist das nicht. Oder liegt es daran, daà ich dem Boden näher komme, auf dem Juden gefoltert und ermordet wurden?
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6. Die Stadt der Geister
Wir sind da. Die Stadt OÅwiÄcim in der heutigen Woiwodenschaft Kleinpolen, Geburtsort meines möglichen GroÃvaters. OÅwiÄcim, so hieà es, bis es die Deutschen nach dem Ãberfall auf Polen Auschwitz nannten, vormals Hauptort des ehemaligen schlesischen Herzogtums Auschwitz und Zator im Kreis Krakau, Nahtstelle zwischen Slawen und Deutschen, zwischen Juden und Katholiken. Das »OÅwiÄcimer Jerusalem« hat man es genannt. So berühmt war es für seine Wunderrabbis, seinen jüdischen Witz und seine jüdischen Intellektuellen gewesen, daà unter den Juden der Stadt der Spruch umgegangen war: »In einer groÃen Stadt zu leben ist recht, aber sterben muà der Jude in OÅwiÄcim.«
Heute lebt in OÅwiÄcim kein einziger Jude mehr.
Mein warmer Mantel bietet zu wenig Schutz gegen den kalten Wind, während ich durch kniehohen Schnee stapfe.
Das Vorzeige-Schwimmbad, das modernste Polens.
Schneeregen rieselt traurig auf die Buna-Werke, die Fernwärme für die Stadt liefern, Ableger der Vergangenheit. Das riesige Areal der Chemiewerke, die ursprünglich von den IG Farben durch KZ -Häftlinge aufgebauten Sklavenbetriebe, in denen die NS -Opfer sich zu Tode gearbeitet hatten. Die Buna-Werke wurden vom polnischen Staat übernommen und sind heute der einzige groÃe Arbeitgeber der Stadt, die fünfzigtausend Einwohner hat.
Der zweitgröÃte Arbeitgeber ist die Gedenkstätte im ehemaligen Vernichtungslager, sagt PaweÅ.
Beunruhigender Gedanke: Arbeitsbeschaffung durch das KZ . Andererseits: Die Gedenkstätte ist auch eine riesige
Industrie- und Forschungsstätte. Viele Menschen aus vielen Ländern haben geforscht und Millionen von Büchern zur Judenverfolgung geschrieben. Eine wichtige Aufarbeitung. Es macht Sinn.
Leere StraÃen. Hinter einem halb zugezogenen Vorhang in der ebenerdigen Wohnung sitzt eine Frau und legt Patience. Ihr Mann im blauen Trainingsanzug sortiert Lottoscheine. Der groÃe Marktplatz, der Rynek, ist um die Mittagszeit verwaist; in der Mitte prangt, die Sicht nach allen Seiten verstellend, ein bunkerartiger verwahrloster Betonklotz. Ein realsozialistisches Bauwerk. PaweÅ meint, es solle nicht gefallen. Die Leute sollten sich nicht wohl fühlen und immer daran erinnert werden, daà »Red Brother« über sie wacht.
Darunter der Nazi-Bunker, der nicht gesprengt werden konnte. Ich stehe vor dem Klotz und blicke um mich.
Was will sie hier, in diesem unheilvollen Nest?
Spuren suchen?
Sie wird keine finden. Die Zeit ist nicht stehengeblieben.
Audioshops, ein Sex-Shop, ein biÃchen Kunstgewerbe. In den Schaufenstern des kleinen Geschäfts am Markt â es soll wohl ein Souvenirshop sein â geblümtes Porzellan, verstaubte Tücher, Aktenmappen, Hefte, billige Ketten. Wenn sie mehr nutzlose Dinge wollen, müssen die Menschen nach Krakau fahren. Ein groà aufgezogenes Bild vom Auschwitzer Eishockey-Team, mehrfacher polnischer Meister und Stolz der Stadt. Ich finde eine klebrige
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