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Meine Väter

Meine Väter

Titel: Meine Väter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Bronnen
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dahin«. Im Sommer endlich machte er die Abschlußprüfung an der Freiwilligenschule in Galizien. Weihnachten 1892 wurde er zum k. & k. Militär-Verpflegungsakzessisten i.d.R. ernannt.
    Im Augenblick war er unten. Parterre. Bei den Knechten.
    Wie soll das weitergehen?
    Â 
    * * *

19. Familiendrama
    Das Militärzeug im Koffer, den Hut noch auf dem Kopf, setzte er sich, kaum in seinem Wiener Zimmer angekommen, in seinem grauen Anzug an den Schreibtisch und begann, das Tagebuch und die Notizen für sein Bühnenstück auszuwerten.
    Er skizzierte die Bühne für sein Schauspiel, ab und zu hob er den Kopf und blickte hinaus auf die Straße.
    Ein frostig-leeres Zimmer in Auschwitz mit einem unpolierten Tisch, Strohsäcken und einem blinden Spiegel. Hier hauste seine Familie Wawroch , wie er das Stück nannte, die hilflose Mutter, der Säufer-Vater, der in jede Ecke spuckt, die Tochter auf Abwegen und der aufsässige Sohn. Der Zorn auf den Vater, die Enge, die Konflikte zwischen Juden und Christen – das ließ Ferdinand Seiten füllen. Für die elenden Gestalten der revoltierenden Bergarbeiter wählte er die heruntergekommene Atmosphäre einer billigen Branntweinschenke mit rohen Holztischen und Bänken.
    Ein Familiendrama, eingebettet in den Arbeitskampf. Der junge Wawroch, dessen Entlassung aus dem Betrieb auf das Konto seines Vaters geht, wird eingezogen und tötet im Kampf gegen die revoltierenden Bergarbeiter seinen Vater. Ein Vatermord, durchsetzt mit slapstickhafter Komik.
    Er schrieb über das, was er kannte: über Hungernde, Streikende, plündernde Arbeiterfrauen, verachtete Juden, unterjochte Söhne, patriarchalische jüdische Väter und herrische Säufer. Schuldig sind seine Personen alle auf irgendeine Weise, und doch gleichzeitig Opfer ihrer Familie,
ihrer Herkunft, ihrer Erziehung und ihres Milieus. Ein österreichisches Drama.
    Eines der ersten naturalistischen Bühnenstücke. Und eines der ersten Arbeiterdramen.
    Tag und Nacht saß er am Schreibtisch, vertröstete die einsame Martha, die inzwischen in Wien eine gute Erzieherinnenstelle angetreten hatte, und rannte gegen Abend zu seinen Brotgebern durch halb Wien. Und jede Nacht, wenn er zurückkehrte, trug er bereits die Szenen in sich, an denen er bis zum Morgen schreiben würde. Schließlich hatte er sämtliches Material zum historischen Geschehen in den Teschener Gebieten zusammengetragen und konnte auf tatsächliche Vorgänge zurückgreifen. Wenn die Sonne ins Zimmer schien, machte er sich einen Kaffee, um die Müdigkeit zu vertreiben, dann schrieb er weiter, konzentriert und ohne Unterbrechung.
    Er arbeitete mit der Sprache, kontrollierte Punkte und Kommata. Er duldete keine Nachlässigkeiten. Er las sich laut vor, was er geschrieben hatte, mit dröhnender Stimme, und stimmte die Rhythmen der Sätze ab. Kämpferisch mußten sie sein, staccato, mundartlich präzise – seine Bergarbeiter sprachen schlesischen Dialekt. Insgesamt fünf oder sechs Dialekte, der tschechische, schlesische, wienerische, steirische und galizische sollten das Stück beleben.
    Sobald er sich im Dialekt befand, fühlte er sich sicher. Außerdem waren die Provinz und ihre Dialekte seit Jeremias Gotthelf und Gerhart Hauptmann en vogue. Man opponierte gegen die Großstadt und ihre Literatur und hob die Emanzipationsversuche vor allem der Alpenländer hervor – eine Verherrlichung des Bodenständigen, die Bauernromane hervorschießen ließ. Immer mehr Menschen zogen aufs paradiesische Land.
    Â»Wirtshaus. Arbeiter aus dem Bergwerk. Unter ihnen versoffener Schreiber (neben ihm Dirne?) wird von seiner Tochter (er wohnt im selben Haus) heimgeholt. Streit. Wirt, Jude, legt sich ins Mittel. Arbeiter gegen den Juden. Lärm.
    ( … )
    Akt zu Ende. II . Akt frühmorgens, in der Wohnung des versoffenen Schreibers. Todkranke Frau. Tochter. Wird der zweiten Tochter in Berlin gedacht, die ihrem Geliebten nachgezogen … Streit, Schlägerei, Frau stirbt …«
    Gesellschaftliche Realität. Soziales Mitleid allerdings war ihm, der selbst genug Elend erlebt hatte, nicht nur fremd, er sah es auch mit einer gewissen Überheblichkeit: »Es gibt ja zuviel Vieh auf der Welt«, läßt er den jungen Wawroch, den Nietzscheaner, zu seinem verarmten Vater sagen.
    Ferdinand geht mit dem Kritiker Franz Servaes konform, der sich

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