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Meine Väter

Meine Väter

Titel: Meine Väter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Bronnen
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Ernüchterung.
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    * * *

21. Adam
    Wie konnte er sich aus der Affäre ziehen? Wie das Stück zur Aufführung bringen, ohne daß sein Vater davon erfuhr? 1894, kurz vor der Aufführung, ein Problem.
    Seine Antwort darauf: Er würde sich einen anderen Namen geben.
    Doch welchen Namen sollte er wählen?
    Er träumte sich zurück. An den Menschheitsbeginn. Das Paradies.
    Adam, hebräisch Mensch, Gottes erstes Geschöpf. Vorname Franz, nach Kaiser Franz-Joseph, also Franz Adamus. Diesen Namen würde er tragen.
    Adam, das Urwort. Stammvater der Menschheit, undefinierbare Selbstgeburt. Nicht aus einem menschlichen Wesen geboren. Ein Wesen noch ohne menschliche Identität, das keinen Übergang vom Kind zum Elternsein kennt.
    Vor allem: ein Mann ohne einen menschlichen Vater, doch Vater aller Menschen. Nach des Herren Bild geschaffen. Und doch der Gefallene, aus dem die Sünde kam.
    In jeder Lebensphase einen neuen Namen.
    Wechselte er so oft die Haut, bis er den Kern nicht mehr spürte?
    Martha schien ihm zufrieden, verheiratet zu sein und einen Mann zu haben, der mit ihr aß, schlief, lebte, für den sie sorgen und dem sie Kinder schenken konnte. Viel wußte sie wohl nicht von dem, was er schrieb, aber sie bemühte sich, eine gute Zuhörerin zu sein, wenn er davon erzählte. Sie war präsent, auch wenn sie nichts dazu tat.
    Sie überlegt, welches Bild sie von ihrer Großmutter Martha hat, wenn sie Ferdinands Äußerungen zusammenträgt. Eine treusorgende Familienmutter, vergleichbar der Frau Wawroch in seinem Bühnenstück, die sich selbst eine ›arme Frau‹ nennt, ein ›Mutterl‹. Doch ihr österreichischer Großneffe und ihr Enkel Friedl bezeichnen Martha als verständnisvolle und aufgeschlossene Persönlichkeit.
    Zwei Geschichten sind in ihr. Die Geschichte ihres Großvaters und die ihrer Großmutter.
    Beide sind kompliziert. Marthas Bild aber ist so provozierend hausbacken, daß sie es nicht glaubt.
    Seit er verehelicht war, konnte er besser arbeiten, wohl auch deshalb, weil er nicht wußte, was er den ganzen Tag mit Martha reden sollte. Vielleicht schien ihm das Schreiben ein gutes Mittel für ein konfliktloses und emotional karges Eheleben. Unmerklich fast schleicht sich in seine Schilderung eine Glorifizierung des Männlichen im Sinne Otto Weiningers ein, als hätte er Angst, seine schöpferische Kraft zu verlieren, wenn er sich zu sehr auf Martha einließe. Für ihn war ihrer beider Glücklichsein ohnedies beschlossene Sache.
    Nach seinen Erinnerungen kann ich nur vermuten, daß Martha in seinem Leben eine zentrale Rolle spielte, gerade weil sie so zurückhaltend war, weil sie trotz ihrer Anwesenheit unbemerkt blieb. Pflichtbewußt schlich sie durch die Zimmer und verließ sie ebenso geräuschlos. Besuchern ging sie, Ferdinands Anweisung befolgend, aus dem Wege.
    Wenn es einmal an der Tür klopfte, legte er die Feder beiseite, stand hastig auf und öffnete die Tür zum Schlafzimmer. Martha nickte, raffte ihr Strickzeug an sich, verschwand und schloß leise hinter sich die Tür.
    Einmal empfing ihn seine Frau weinend.
    Soll das deine Liebe sein, schluchzte sie, daß ich ewig ein Leben in der Verbannung, ja, in einem Kerker führe?
    Er schämte sich »ein wenig des fast ärmlichen Haushalts, in dem wir lebten«, des düsteren Flurs, »der engen Grenzen des kleinbürgerlichen Daseins« – er wollte doch nie ein kleiner jüdischer Spießer sein! Das Argument der Armut kommt immer wieder, und nie erwähnt Ferdinand, daß sie sich einmal etwas Schönes gekauft haben. Hier liegt für ihn offenbar eine besondere Schmach, der Neid auf den Reichtum der oberen Schichten.
    Aus dieser Armut, literarisch bestens verwertet, muß sich Ferdinands Geiz entwickelt haben, verbunden mit Scham. Er hätte so gern zu den Wohlhabenderen gehört! Doch ein wenig Koketterie ist immer dabei, wenn er über seine Armut klagt.
    Er war in einen Kreislauf geraten, aus dem es keinen Ausweg zu geben schien, und das Rad drehte sich immer weiter – seine auf Unwahrheit errichtete Welt mußte immer wieder ausgebaut werden. Mindestens alle vier Wochen mußte er eine neue Lüge riskieren, wenn er auf der Höhe bleiben wollte.
    Warum verbarg er seine Frau? Schämte er sich ihrer?
    Weihnachten 1894 sagte sie ihm, daß sie schwanger sei.
    Sollte er je Zweifel

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