Meine Väter
an seiner Vaterschaft gehabt haben, so verbarg er sie gut. Er reagierte schwülstig und wenig glaubhaft: »Sprachlos, vor überströmendem Gefühl der Seligkeit umarmten wir uns.«
Das klingt verlogen, um so mehr, als später von diesem Seligkeitsgefühl keine Rede mehr ist und er auch über die Entwicklung seiner Kinder nichts zu berichten weiÃ. Das neue Familiengefühl taucht eher als »ein gewaltiges Hemmnis für (â¦) künstlerische Produktion« auf.
Sie verbrachten die Stunden bis Mitternacht und den
nächsten Tag damit, ihr neues Leben zu planen. Die Hausgehilfin sollte bei ihnen wohnen, damit Martha jemanden um sich hatte, und am nächsten Tag würden sie ein Tafelbett kaufen, auf dem die Frau schlafen konnte.
Er läÃt etwas aus, denn es gab durchaus einiges, das er an Marthas Schwangerschaft geschätzt haben mag. SchlieÃlich war ein Kind der entscheidende Schritt auf dem Weg in eine gediegene Bürgerlichkeit. Er würde endlich in die Gesellschaft aufgenommen werden, mit allem, was dazugehörte: Taufe, Kindermädchen, Volksschule, Gymnasium, Studium. Er hatte schlieÃlich im voraus dafür bezahlt: die eigene Taufe, die Namensänderung, die Hochzeit.
Würde es ihm mit einem Kind gelingen, ein neues âºVolksgefühlâ¹ zu erringen, an der Hand einen blauäugigen Sohn?
Beflügelt schrieb er weiter an seinem ersten Bühnenstück Familie Wawroch über den Kampf zwischen jüdischem Vater und dem das Judentum ablehnenden Sohn. Das Ganze spielte um die Jahrhundertwende 1900, und âºJahrhundertwendeâ¹ sollten auch Titel und Thema seines aus drei Teilen bestehenden Bühnenzyklus sein.
Sein EntschluÃ, aus dem Judentum auszusteigen, die damit verbundenen Schuldgefühle, seine geheimnisumwitterte Herkunft und seine zunehmend kritische Haltung zu seinem Judentum brachten ihn auf die Thematik Assimilation. Zwei seiner Bühnenstücke machen den »jüdischen Selbsthaë und die Verleugnung des Vaters zum Thema.
Ferdinand und Martha verbrachten ruhige Zeiten, gingen spazieren, sahen kaum jemanden, da Martha wegen ihres Zustands ungern in Gesellschaft war, und ihm war das recht. Und ab und zu leisteten sie sich mit zwei Freunden einen Opernbesuch, die Männer im zweigeteilten und durch eine Bronzestange getrennten Stehparterre
für Zivilpersonen, abgegrenzt vom Militär. Sie besuchten »Kunstschauen«. Oder sie gingen in die Sonntagnachmittagsvorstellungen im Burgtheater und fühlten sich als bessere Menschen, wenn sie die »moralische Anstalt« verlieÃen.
Oft gingen sie in den prächtigen Schwarzenberg-Park in Neuwaldegg. Als sie am 18. August 1895 mit der Pferdebahn zurückfuhren, setzten die Wehen ein, die vierundzwanzig Stunden anhielten, und am nächsten Tag, dem 19. August, wurde sein Sohn Arnold geboren. Kein sanfter Eintritt ins Leben: eine Zangengeburt. Ein zarter Junge mit groÃen blaugrauen Augen, weich und warm, der seinen Vater entzückte. Mit seinem schmalen, blassen Gesichtchen und der hohen Stirn blickte er ernst in die Welt.
Ferdinand sah es zunächst mit Dankbarkeit, die sich später in Skepsis verwandelte: »Man hätte glauben können, er werde zu einem sanften, leicht lenkbaren Jungen heranwachsen. Aber er hatte es offenbar schon damals faustdick hinter den Ohren, denn er wurde später ein sehr eigenwilliger und oft widerborstiger Jüngling, der uns manchen Kummer bereitet hat.«
Zunächst hielt er, seinem Lebenskonzept gemäÃ, alles geheim. Nur sein Freund, Pfarrer Schmidt, der Arnold taufte, seine Freunde, die beiden Taufpaten Hans Gentzen und Arnold Penther â nach denen sein Sohn Arnold Hans genannt wurde â und die van der Leedens wurden verständigt. Doch am liebsten hätte Ferdinand sein Vaterglück in alle Welt hinausposaunt, und er bereute, daà er die Existenz seiner Frau verschwiegen hatte. Nach ein paar Tagen, in einem Anfall von Tollheit, Stolz und Geltungstrieb, verständigte er Freunde, schlieÃlich gar die Eltern im Karpathennest Dominikowice und sämtliche Verwandte in Auschwitz. Sein Vater Etiel, vor vollendete
Tatsachen gestellt, entschied sich nach langem Ãberlegen, diesen Verrat zu übergehen, und schrieb ein paar freundliche Zeilen.
Ferdinands Leben änderte sich. Statt hochgeistiger Gespräche ging es um Maà und Gewicht des Kleinen, statt hoher Literatur gab es ein Buch über Die
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