Meine Väter
Sohn, den guten Schüler. Das weckte Arnolds Auflehnung und seinen Widerwillen.
Arnolds Schüchternheit vor dem Vater. Der Junge hatte gröÃten Respekt und dazu die Angst, sich vor ihm zu blamieren. Er selbst war kein brillanter Schüler, und bei einer verbalen Auseinandersetzung war er stets der schmählich Unterlegene. So pflegte er sein mürrisches Schweigen und vertiefte sich ins Schreiben.
Väterliche Zuwendung hat Ferdinand wohl nie erfahren. Für ihn gehörten Liebkosungen und Zärtlichkeit ins Ressort der Mutter. Er hielt Familienbeziehungen ein wenig auch für eine Zumutung für einen intelligenten Menschen, eine Mühsal, die ihn am Arbeiten hinderte.
Betrachtete er, wie es Arnolt Bronnen â so wird er sich später nennen â im âºVatermordâ¹ darstellt, seinen Sohn als Besitz? Sah er sich als einer, der sich für seinen Sohn »plage, abrackere« und deshalb berechtigt sei, »Liebe und Verehrung« statt »Haà und AbstoÃung« zu erwarten? Also gab es nie zwischen den beiden etwas wie Berührung und Zärtlichkeit?
Wenn Ferdinand einmal mit Arnold sprechen muÃte, klang er lustlos, beiläufig, als hätte er es schon hunderte Male erklärt, und überleise. Arnold hatte eine weiche schöne Stimme und sprach ein melodiöses Ãsterreichisch. Er
wirkte immer, als sei ihm alles zu viel, konnte ungefällig sein und erschien leidenschaftslos, wenn es um andere ging. Seine einzige Waffe gegen den Vater: seine Jugend, ungesteuerte Affekte. Dagegen kam der cholerische Ferdinand nicht an.
Arnolds hohe Stirn, die Stirn seines Vaters, der feingeschnittene, empfindliche Mund, die kleine runde Brille. Arnold war schmal wie sein Vater und wirkte zart, fast schwach, aber sein Blick war voll abweisender Energie. Was er tat, was er dachte, immer diese Spannung, als warte er auf etwas. Dabei konnte er durchaus charmant sein, wenn er wollte.
Es muà eine äuÃerst angespannte Situation gewesen sein, und Arnold verfolgte mit Bitterkeit und Neid den Erfolg des Vaters, wenn er die positiven Besprechungen des Bühnenstücks las.
Dazu machte Arnold die Möglichkeit des eigenen Jude-Seins zu schaffen. In der Zeit zwischen 1909 und 1913, als Oberschüler, hatte er früh lernen müssen, »Deutsche« und »Juden« voneinander zu trennen. Ein Viertel der Mitschüler in seiner groÃbürgerlichen Klasse waren Juden; er gehörte zum Klassenproletariat. Verschärft wurde seine Situation noch durch Hinweise aus der Nachbarschaft. Der junge Barber, erzählt er im Protokoll , Sohn der wohlsituierten jüdischen Familie im selben Haus, hatte ihn, der sich wegen seiner schäbigen Kleidung ohnedies verspottet fühlte, als »frechen Juden-Bengel« tituliert und seinen Freunden erklärt: »Der is doch genau so ein Jud wie ich!« Arnold reagierte darauf verstört und fragte â nachdem ihn der Vater nach der Frage seiner Herkunft aus dem Zimmer geworfen und die Mutter ihn schroff abgewiesen hatte â den Bruder seines Vaters, Josef. Josef weihte ihn in die jüdische »Familien-Mystik«, so Arnold,
ein, wonach Ferdinands Vater ein Findelkind gewesen sei und der GroÃvater der Mutter ein berühmter Schriftgelehrter, ein groÃer jüdischer Rabbi. Im Protokoll betont er, daà ihn angesichts seines Judentums »ein Gemisch von Stolz, Verlegenheit und Familien-Mystik« unsicher machte.
Arnold sprach darüber mit einem jüdischen Mitschüler, der ihn in eine zionistische Mittelschüler-Vereinigung mitnahm: »Hier ging es ähnlich zu wie bei den Deutschnationalen, nur waren die Töne lauter, die Haare dunkler, die Bewegungen heftiger. Aber ich spürte zum ersten Mal, daà es ein Judentum gab«, doch: »Was war mir Palästina (â¦) ich liebte den Wienerwald.« Sein Versuch, bei der zionistischen Verbindung Anschluà zu finden, muÃte scheitern.
So gibt Bronnen gleich zu Beginn des Protokolls sein Lebensthema vor: »Ich kam damals einer Lösung nicht näher ⦠Aber ich kam meinem persönlichen Problem näher.«
Demnach hätte er bereits in jungen Jahren die jüdischen Wurzeln seines Vaters massiv abgelehnt. Die Demütigung, in der Klasse aus den Reihen der »deutschen« Ãsterreicher verstoÃen worden zu sein, habe ihn tief getroffen.â
Vater und Sohn â zwei ungeheure Kräfte, die aufeinanderprallen, zwei
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