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Meine Väter

Meine Väter

Titel: Meine Väter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Bronnen
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mit dem alten Juden Perlensam: »Wenn die Deutschen ein Vorwurf trifft, so ist es höchstens der, die Juden zu früh und zu unmittelbar aus dem Ghetto des finsteren Mittelalters entlassen zu haben in die moderne bürgerliche Freiheit!«
    Bei Schmelz, der Nibelunge wiederholte sich, was er bereits bei der Familie Wawroch erlebt hatte. Sorgenvolle Wochen, in denen die Verhandlungen mit der Zensurbehörde hin und her gingen, Streichungen und Milderungen wurden verlangt, ohne endgültige Freigabe. Wiederum ist Ferdinand dazu bereit, »im Vertrauen zu den österreichischen Behörden, die nicht so engstirnig sein würden, den positiven Kern meines Werks zu verkennen«, mit der Zensur zusammenzuarbeiten. Dann, einen Monat vor der Premiere, die Mitteilung, daß der Text nun auch dem Zensurbeirat, einer neugeschaffenen Prüfstelle, vorgelegt wurde. Dort war es zu scharfen Kämpfen gekommen, denn es drang nach außen, daß ein Mitglied des Beirats sich für das Verbot des Stückes ausgesprochen
habe. Schließlich, vier Tage vor der Premiere, überraschend die Freigabe. Nur geringfügige Endkorrekturen wurden verlangt, in die Ferdinand leichten Herzens einwilligen konnte.
    Ich stelle mir vor, wie er am Faschingsmontag langsam durch die Straßen auf das Theater zuging. Der selbstbewußte Autor der Familie Wawroch und nun von Schmelz, der Nibelunge . Auch das Drama Vaterland um die Tiroler Freiheitskämpfe hatte er bereits begonnen, damit würde seine Trilogie Jahrhundertwende abgeschlossen sein. Was für eine großartige Idee, den dramatischen Zeithintergrund für eine Dramenreihe zu nutzen! Mit dem Artikel seines Freundes Hermann Bahr, der ihm eine geradlinige Entwicklung von der Familie Wawroch bis zu Schmelz, der Nibelunge bescheinigte und das letzte Stück als riskant und gelungen einstufte, konnte er zufrieden sein, um so mehr, als Bahr sich intensiv mit dem Judentum auseinandergesetzt hatte. Bereits vor neun Jahren, 1894, war von ihm »Ein internationales Interview« erschienen, Der Antisemitismus , in dem er Theodor Mommsen, Maximilian Harden, Ernst Häckel, Henrik Ibsen, Björnstjerne Björnson, Henri Rochefort und viele andere dazu befragte. Ein wichtiges, heute wenig bekanntes Zeugnis seiner Zeit.
    Endlich stand er vor dem Theater. Ich sehe es vor mir: Schon auf dem Platz vor dem Eingang Szenen, die an Volksversammlungen erinnerten. Anhänger gegensätzlicher Positionen stritten, noch ehe sie das Stück gesehen hatten. Zwei gut gekleidete Damen mit hochgestecktem Haar redeten heftig auf einen Herrn im Smoking ein. Ein Jude mit Schläfenlocken und korpulenter Figur diskutierte mit einer Frau im bodenlangen Kleid, die eine Zigarettenspitze im Mundwinkel hatte. Eine Grup
pe von Schülern mit Pappnasen rauchte Zigaretten. Und jede Menge Polizisten im Saal, in Ausgehuniform.
    Als der Vorhang hochging, ertönten Pfeifkonzerte und heftige Zwischenrufe. Lautstarke Auseinandersetzungen zwischen Deutschnationalen und Zionisten, die jeden Augenblick in Tätlichkeiten abzugleiten drohten, erschütterten das Haus. Erst als es zur Versöhnung zwischen dem alten Schmelz und seinem Sohn kam, beruhigte sich das Publikum.
    Stolz zeigte er sich dem Publikum. Er ließ sich nach dem prasselnden Beifall wiederholt vor den Vorhang bitten, grüßte nach rechts und links und empfand inmitten all der Prominenz das tiefe Wohlgefühl des Angekommenseins.
    Sie ist verwundert. Schien er mit der Tatsache, daß er das Judenproblem ansprach, weniger denn je Jude zu sein? War es ihm gelungen, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben?
    Nur ein Bild hätte er an diesem Abend gern aus seinem Gedächtnis getilgt: das Bild seines zehnjährigen Sohnes Arnold an der Hand seiner Frau, die ihn damit überraschte. Arnold war gerade ins Gymnasium gekommen, brachte mäßige Noten nach Hause und hätte allen Grund gehabt, früh zu Bett zu gehen. Statt dessen standen sie ihm, gerade in ein wichtiges Gespräch mit Franz Servaes vertieft, plötzlich gegenüber, zu einer Einheit verbunden, die niemals zerbrechen würde.
    In Ferdinands Augen ein gravierender Fehler, einer von vielen Fehlern, die Martha unterliefen. Der Junge hatte im Theater nichts verloren. Kurzer Blickwechsel, in dem sie stumm miteinander rangen, dann verwies er beide mit einem Lidschlag in die Distanz und führte sein Gespräch mit Servaes fort.
    Den Sohn danach zu befragen,

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