Meine Väter
welchen Eindruck das Stück auf ihn gemacht hatte, dafür hatte er in dem tagelang anhaltenden Trubel »keine Zeit« gefunden.
Keine Zeit? Hat ihn denn Arnolds überraschende Anwesenheit bei der Premiere gar nicht gefreut?
Seit der Premiere von Schmelz, der Nibelunge war Arnold wie ein Detektiv hinter dem Vater her. Im Protokoll berichtet Arnolt Bronnen, wie er in den Dämmerstunden am Morgen, wenn die Familie im Tiefschlaf lag, lernte, leise zu sein, sich zu verstecken und sich seiner Gedanken und Gefühle zu schämen. »Aber die gleiche Scham machte mich auch schamlos, ich stirlte in fremden Sachen herum, die mich nichts angehen durften, und ich las vieles, was ich damals nicht lesen durfte.«
Einmal, als er hinter der Tür das Gespräch mit Gästen belauschte, entdeckte ihn der Vater und stellte ihn zur Rede. Seine dröhnende Stimme hätte ihn aus dem Schlaf geweckt, log Arnold. Ferdinand gab sich zufrieden. Er wuÃte, daà der Junge seinen Freundeskreis bewunderte, vor allem Bahr, der Martha den Hof machte, den Burgtheater-Chef Max von Millenkovich und den Schriftsteller Franz Servaes. Was er nicht wuÃte, war die unheimliche Besessenheit Arnolds, in die Biographie seines Vaters einzubrechen. Ahnte der Junge, was Ferdinand Bronner vor aller Welt verbarg?
In den Lebenserinnerungen meines Vaters Arnolt Bronnen gibt zu Protokoll ist zu lesen: »Durch eine Fügung sah ich damals, zehnjährig, mein erstes Theater-Stück, Schönherrs Kärrnerleut . Der junge Landstreicher, der sich umbringt, weil er seine Eltern verraten hat, wurde Bestandteil meines Ichs.«
Kein Wort von Schmelz, der Nibelunge , dem Stück, das er nach dem Zeugnis seines Vaters zuvor gesehen haben
und das ihn, wie Familie Wawroch , so ergriffen haben muÃ, daà es seinen Vatermord stark beeinfluÃte.
Arnold, der während der ersten beiden Schuljahre daheim privat bei einem »Fräulein« hatte lernen dürfen, zeigte früh eine dramatische Begabung, die dem Vater nicht verborgen blieb. Mit acht Jahren schrieb er Gedichte und fing bald an, kleine Szenen und Dramoletts zu gestalten. Nicht immer zum Wohlgefallen des Vaters. Der Junge hatte nur Flausen im Kopf â der sollte sich mehr um seine Schularbeiten kümmern!
Wollte er das zarte Genie seines Sohnes im Keim ersticken?
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24. Vater und Sohn
Arnold ist im Jahr 1912 siebzehn Jahre alt, hat einen Bruder, Rudolf, und eine Schwester, Ellida, ein weiterer Bruder, Günther, folgte. Ferdinand ist fünfundvierzig Jahre alt, noch immer Beamter im Staatsdienst und ein Bühnenautor, von dem GroÃes erwartet wird. Der dafür wie besessen arbeitet.
Ich stehe vor dem einfachen Haus in Wien, in dem sie vor dem Ersten Weltkrieg lebten, damals noch von »steppenartigen Gefilden«, wie mein Vater schreibt, umgeben, heute ein Eckhaus an einer Kreuzung der Währinger StraÃe, unweit der Sternwarte, umbrandet vom Verkehr. Nach den Berichten von Ferdinands Enkel Hans aus späteren Zeiten kann ich mir vorstellen, wie damals ein Tag verlief. Ich sehe es vor mir, wie die Sonnenstrahlen auf Ferdinands Manuskript fallen. Auf dem Balkon gurren die Tauben, von den Wohnungen unter ihnen dringen durch die geöffneten Fenster Sonntagsgerüche nach frisch gebackenem Kuchen und Kaffee herauf, Tellerklappern, Tassenklirren, Stimmen. Die kleine Ellida sitzt zu seinen FüÃen und spricht laut mit ihrer Puppe, Günther, der Jüngste, tobt im Nebenzimmer herum. Rudolf ist zu einem Freund gegangen, und der siebzehnjährige Arnold verharrt schweigend in einer Ecke, den Kopf über ein Notizheft gesenkt. Vielleicht hatte er eine dickbäuchige Blumenvase schützend davor plaziert, so daà Ferdinand nicht sehen kann, womit er sich beschäftigt.
Ferdinands kleinbürgerliches Leben. Zum Mittagessen kam er nach Hause, aà reichlich, wobei er das beste Stück für sich beanspruchte â eine Eigenschaft, die später Ar
nold in unserer Familie übernahm â, überlieà Martha die Küchenarbeit, las seine Zeitung, dann zog er sich zurück und schrieb.
Nicht anders Arnold, der, den Vater imitierend, schon früh ein geheimes Eigenleben zelebrierte, das er später in seinen Ehen fortführte. Er wollte damals nur die Zeit zu Hause überstehen. Durchhalten, bis er dem Vater entkommen würde, der nur Wohlverhalten, Gehorsam, PflichtbewuÃtsein, Wissen forderte, den guten
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