Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meine Väter

Meine Väter

Titel: Meine Väter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Bronnen
Vom Netzwerk:
ein äußerst bescheidenes Auskommen. Er schrieb kleine Artikel und Aufsätze, baute sein Freundesnetz aus und suchte Halt in seiner deutsch-nationalen Gesinnung. Er blieb Gefangener seiner Vergangenheit, das machte ihn anfällig für nationalsozialistische Tendenzen.
    Zeigt sich hier nicht Ferdinands Kleinbürgerlichkeit – eine Mentalität, die sich in der nur scheinbaren Entfesselung seines Sohnes fortzeugte? Übertrug er nicht wie jener die Dif
fusität seiner Biographie auf sein politisches Denken? Warum gab er der Demokratie keine Zeit, sich zu entwickeln, sondern schürte die Bereitschaft für einen neuen Krieg?
    Befremdlich für einen Menschen, der mehr als andere an den großen geistigen Impulsen seines Landes hing, der Schillers Freiheitsgedanken und die Klassik verehrte wie kein zweiter. Bald lag Ferdinand vor der neu erwachenden Volksbewegung auf den Knien.
    Er versuchte, als Schriftsteller wieder Fuß zu fassen und erinnerte seinen Freund Max von Millenkovich-Morold, der gegen Ende des Ersten Weltkriegs kurz das Amt des Burgtheater-Direktors innehatte, an sein Versprechen, das Stück Neues Leben aufzuführen. Aus der 1940 erschienenen Biographie des Direktors, in der er stolz verkündet, die Aufführung eines bereits angenommenen Schnitzler-Stückes verhindert zu haben, läßt sich schließen, wie grob die Abfuhr war. Ob er allerdings von Ferdinands jüdischer Herkunft wußte, ist nicht auszumachen. Doch waren Denunziationen in Wien an der Tagesordnung.
    Seit dem Ende des Krieges litt Ferdinand unter Schlaflosigkeit, die sich mit Arnolds Rückkehr aus der Gefangenschaft noch verstärkte. Ferdinand und Arnold waren sich ausnahmsweise einmal einig, daß der Schandfrieden von Versailles eine unausgereifte Lösung war. Arnold sprach gar von einem neuen Krieg.
    Erst Ende September 1919 hatte man Arnold, auf Intervention eines seiner Freunde, nach viereinhalb Jahren Krieg und Gefangenschaft freigelassen. Auf der Rückreise brachte man ihn in einem luxuriösen Hotel am Comer See unter, in dem schon fünfzig Offiziere versammelt waren: »Es war das letzte Mal Altes Österreich mit Generälen, Exzellenzen, Grafen und Fürsten, ich als schlichter Fähnrich nur so zufällig dazwischen … Hier sprach
man noch von Offiziers-Bewußtsein, Treue zu Habsburg, unverbrüchlicher Einigkeit, und das alles in verschiedenen Sprachen.« Doch das war längst verspielt.
    Wie Ferdinand hatte es auch Arnold die nationalen Sehnsüchte keineswegs ausgetrieben. Das konnte dem Vater nicht entgehen, als er seinen Sohn, sechshundertsechzig Kronen Lohn des Vaterlands in der Tasche, am Westbahnhof auf der Heimkehrer-Zerstreuungs-Station Hietzing abholte. Auf dem Heimweg trat plötzlich ein Mann auf Arnold zu und nahm ihm seine Mütze vom Kopf: Das wollen wir doch mal vom Kopf herunternehmen, sagte er und riß die Offiziersrosette ab. Dann reichte er ihm die Mütze wieder. An Arnolds getroffenem Blick konnte Ferdinand wohl sehen, wie sehr er, der nie seinen Stolz auf die »nicht ganz offiziersmäßige Stellung« zugegeben hatte, der Rosette nachtrauerte.
    Im Oktober war Arnold also endlich wieder zu Hause. Ein hochgewachsener, magerer junger Mann mit einem kleinen Schnurrbart über den schmalen Lippen, mit großen, umschatteten, blaugrauen Augen unter der Brille und einer Narbe am Kehlkopf, entkräftet, hustend, bleich, geschunden und unversöhnlich. Mit einer heiseren, brüchigen Stimme, die ihm etwas Pubertäres gab.
    Der Haß des Vierundzwanzigjährigen auf die Väter war noch gewachsen. Schließlich, fand er, hatten die Alten den Jungen diesen Krieg eingebrockt. Seine eigene Kriegslust hatte er vergessen.
    Er hatte es eilig gehabt, von Italien nach Wien zu kommen. Ein Brief von Gustav Wyneken, dem Leiter der Schulgemeinde Wickersdorf, hatte ihn Anfang September 1919 in Palermo erreicht. Der Brief war fast ein halbes Jahr alt und ihm von Cefalù, wo er in Einzelhaft saß – er hatte einen Kommandanten, absichtlich oder nicht, nicht ge
grüßt – nachgeschickt worden. Inzwischen wurde Arnold in Palermo verhört.
    Aufgewühlt von Wynekens Nachricht, versuchte er, aus dem heißen Palermo zu fliehen, kehrte aber wieder zurück und wurde am 25. September 1919 offiziell entlassen.
    Â»Wie Sie sehen«, schrieb Wyneken, »habe ich nach 9jähriger Trennung unter Zustimmung der

Weitere Kostenlose Bücher