Meine Wut ist jung
viele westliche Länder wirtschaftliche Interessen in Libyen. Auf diese Weise wird das Menschenrechtsthema immer wieder geschwächt, vor allem auch nach dem 11. September. Wir handeln oft nach politischen Opportunitäten und sind nicht konsequent genug. Diese Konsequenz müssen wir uns aber immer wieder abverlangen.
Heißt das, dass der 11. September 2001 menschenrechtlich zu einem Paradigmenwechsel geführt hat?
Davon bin ich überzeugt. Seit diesem Datum werden Sicherheit und Menschenrechte, in der öffentlichen Diskussion oftmals als Gegensatz angesehen. Die Einschränkung von Menschenrechten, ja sogar unmenschliche Behandlungen und Folter werden legitimiert, um Sicherheit vor Terrorismus zu erreichen. Weltweites Symbol hierfür ist Guantanamo. Die Antiterrorgesetze, die von den westlichen Staaten nach dem 11. September erlassen wurden, haben die Glaubwürdigkeit und die Durchsetzungskraft des Westens in Sachen Menschenrechte erheblich geschwächt. Ein prominenter britischer Richter hat es so ausgedrückt: »Die Bekämpfung des Terrorismus hat mehr Schaden angerichtet als der Terrorismus selbst.«
Warum konnte sich der amerikanische Präsident Obama, der zum Amtsantritt erklärt hat, dass er Guantanamo schließen wird, nicht durchsetzen?
Weil die republikanische Fraktion im Kongress Guantanamo mit der Verabschiedung des Militärhaushaltes der Vereinigten Staaten verknüpft hat. Das heißt, Obama musste, wenn er den Haushalt durchbekommen wollte, weiterhin Guantanamo akzeptieren. Er ist unter Druck gesetzt worden durch die Republikaner. Obama wollte das Lager schließen. Das nehme ich ihm ab. Doch auch durch Gerichtsurteile ist er daran gehindert worden. Die Justiz in den USA stand nicht voll auf seiner Seite. Aber vergleichen wir einmal Guantanamo mit einer anderen Menschenrechtssituation - nicht um Guantanamo zu rechtfertigen: In Tschetschenien sind Tausende von Menschen umgebracht worden durch das dortige Regime - unterstützt durch Putin. Da gab es kein Lager, da gab es nur Tote, Tausende Tote.
Warum gibt es in Deutschland noch immer starke Widerstände gegen die Anerkennung der sogenannten sozialen Menschenrechte, wie das Recht auf Bildung oder auf Zugang zur medizinischen Behandlung für Menschen ohne Papiere, die in Deutschland leben?
In Deutschland leben viele Menschen, die absolut rechtlos sind, die sich gewissermaßen außerhalb jeglicher staatlichen Fürsorge und Anerkennung bewegen, weil sie keinen Aufenthaltsstatus haben. Sie leben im Dunkeln und haben Angst, sich zu offenbaren. Das ist eine Situation, bei der die Regierungen in Deutschland, aber auch in anderen Ländern fürchten, durch das internationale Völkerrecht in die Pflicht genommen zu werden.
Meinen Sie etwa damit einen Anspruch auf das Bleiberecht?
Generell besteht die Schwierigkeit, soziale Rechte nach dem Völkerrecht messbar zu definieren. Bei Folter ist das einfach, das Verbot ist definiert. Aber was ist das Recht auf Bildung, auf eine Wohnung, wenn man die unterschiedlichen Lebensverhältnisse bewertet? Sie sind in Bangladesch anders als in der Schweiz. Gegenüber diesem Teil der Menschenrechte gibt es Vorbehalte und Abwehr von Regierenden, die befürchten, in die Defensive zu geraten. Dennoch müssen wir uns bemühen, auf diesen Feldern weiterzukommen.
Gehört das Recht auf sauberes Wasser, auf Zugang zu einer Toilette, ein sicheres Zuhause wesentlich zu den Menschrechten?
Aus unserer Sicht, ja. Im Übrigen gehörte auch ein Recht auf eine medizinische Grundversorgung dazu. Alles, was die Menschen retten kann vor Hunger, Not, Krankheit und Tod, gehört im Prinzip dazu. Nur stellt sich die Frage: Welche Kräfte haben wir, welche Möglichkeit haben wir, diese Ansprüche weltweit sicherzustellen? Viele Gesellschaften leben in bitterer Armut, da geht es erst einmal ums nackte Überleben. Uns bleibt nur der Weg, durch Schaffung von fairen Rahmenbedingungen die Menschen in die Lage zu versetzen, sich irgendwann selbst helfen zu können.
Welchen Stellenwert haben Ihrer Ansicht nach die Menschenrechte im Moment in der deutschen Politik? Hat sich da in den letzten Jahren etwas geändert?
Im Grunde sehe ich eine positive Entwicklung. Die deutsche Öffentlichkeit hat im Laufe der Jahrzehnte das Menschenrechtsthema stärker wahrgenommen und hält es heute grundsätzlich für wichtig. Das kann man beispielsweise an der Art und Weise ablesen, wie deutsche Politiker mit China umgehen. Es ist gar nicht vorstellbar, dass die Kanzlerin nach
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