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Meine Wut ist jung

Meine Wut ist jung

Titel: Meine Wut ist jung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerhart Baum
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Im Sudan aber sind alle diese Versuche gescheitert.
    Schauen wir zurück und nach vorne. Ca. 800.000 bis eine Million Tote hat der ethnische Konflikt im Jahre 1994 zwischen Hutu und Tutsi in Uganda gefordert, und die Weltgemeinschaft sah zu. Ein Jahr später findet das Massaker von Srebrenica mit ca. 8.000 Toten statt. Immer glaubte man, das sind einmalige Fälle, die sich nicht wiederholen werden. Ist das ein Irrtum?
    Es gibt immer wieder Fälle von massiven Menschenrechtsverletzungen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Diese beiden, die Sie genannt haben, haben sich nur in besonderer Weise in das Gedächtnis der Menschen eingebrannt. Es gab noch viele andere Fälle. Denken wir beispielsweise an Kambodscha. Auch andere Konflikte in Afrika könnte man nennen, wie etwa den Biafrakrieg Ende der 1960er-Jahre, den Bürgerkrieg in Sierra Leone in den 1990er-Jahren oder im vergangenen Jahr den Bürgerkrieg an der Elfenbeinküste. Schreckliche Dinge passieren zurzeit wieder im Kongo. Auch der Söldnerführer Ntaganda wird mit internationalem Haftbefehl gesucht. Im Kongo sind zurzeit ca. 100.000 Menschen vor ihm auf der Flucht - die Bevölkerungszahl einer mitteldeutschen Stadt.
    In Kambodscha findet immerhin eine Aufarbeitung statt, auch wenn die Vorfälle schon 30 Jahre zurückliegen …
    In Kambodscha arbeitet ein Gerichtshof daran. Immerhin ein weiterer Versuch, die Taten aufzuklären und die Verantwortlichen, soweit sie noch leben, zur Rechenschaft zu ziehen. Das tut auch der mit Ruanda befasste Gerichtshof. Dort sind unglaubliche Verbrechen geschehen, ohne dass eingegriffen wurde. Die Menschheit muss sich dafür schämen. Kofi Annan, der frühere Generalsekretär der Vereinten Nationen, hat sich später bei einem Besuch in Ruanda für die Völkergemeinschaft entschuldigt. Als der Konflikt in Runda hochkochte, als absehbar war, dass es zu Gewalttätigkeiten der Tutsi kommen würde, verließen die UN-Truppen das Land. Sie hatten im Angesicht einer drohenden Katastrophe das Land schutzlos zurückgelassen. Ich hatte vor einigen Jahren die Gelegenheit, mit dem UN-General, der die letzte Truppe befehligt hatte, zu diskutieren. Er hat mir geschildert, mit welchem Zorn und mit welcher Hilflosigkeit er und seine Männer das Land verlassen mussten, weil das Mandat vom Sicherheitsrat nicht verlängert wurde.
    Fatal ist immer wieder, dass die Völkergemeinschaft erst reagiert, wenn die Verbrechen sichtbar werden, wenn man Berge von Leichen filmen kann. Dann gibt es Diskussionen, auch in unseren Parlamenten. Ein verhindertes, vorhersehbares Verbrechen dagegen ist selten eine Meldung wert. Wir erleben immer wieder Konflikte, die sich anbahnen und die man hätte rechtzeitig entschärfen können, wie eben in Ruanda, wohin die Franzosen übrigens auch noch Waffen geliefert hatten.
    Brauchen wir umfassende, humanitäre Interventionen? Das heißt, auch militärisches Eingreifen zur Durchsetzung der Menschenrechte?
    Zunächst einmal ist humanitäre Hilfe lebensrettend, beispielsweise in Darfur. Aber ohne den militärischen Schutz der Truppen der Afrikanischen Union käme die Hilfe nicht zu den Menschen. In Srebrenica geschah der Massenmord vor den Augen der niederländischen UN-Soldaten, weil diese angeblich nicht den Auftrag gehabt hätten, dort einzugreifen. In der Tat hatten sie kein sogenanntes robustes Mandat, aber sie hätten dem Massenmord nicht tatenlos zusehen dürfen. Die UN hat heute außerhalb ihres normalen Etats einen noch weit höheren Etat für ca. 80 Friedensmissionen überall in der Welt. Sie gliedern sich in verschiedene Stufen. Die äußerste Stufe mit der größten Wirkungskraft erlaubt den UN-Truppen, »robust«, also mit Waffen, in das Kriegsgeschehen einzugreifen.
    Das heißt, man muss oder man kann militärisch eingreifen?
    Aber selbstverständlich. Und das schlagende Beispiel ist ja Libyen. Hier lag ein Sicherheitsratsbeschluss vor, dass zwar ohne Bodentruppen, aber durch Angriffe aus der Luft auf die Gaddafi-Truppen ein Massaker in Bengasi und andere Gewalttaten gegen die Zivilbevölkerung verhindert werden sollten. Das ist ein »robuster« Eingriff. Er folgt einem neuen UN-Prinzip, das noch gar nicht in das Bewusstsein vieler Menschen eingedrungen ist. Dieses UN-Prinzip heißt »Schutz-Verantwortung«, responsibility to protect. 2005 hat die Generalversammlung sinngemäß beschlossen: Wir - die Völkergemeinschaft - fühlen uns verantwortlich in einer Situation schwerer Kriegs- und Menschenrechtsverletzungen,

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