Meine Wut ist jung
Erfahrung haben eine besondere Verpflichtung, uns diesen Menschen zu widmen. Wir müssen Verbündete der Unterdrückten sein. Das Mindeste ist, dass wir sie wahrnehmen, Kontakt zu ihnen halten, sie ermutigen, vielleicht auch trösten in ihrem Leid. Wir können ihnen nicht in jeder Situation helfen. Unmittelbare Hilfe ist oft schwierig. Aber wir können ihnen das Bewusstsein geben: Wir unterstützen eure Forderungen nach Freiheit.
Die Menschen in den arabischen Staaten wurden schon vor 20 Jahren von den gleichen Herrschern unterdrückt. Warum haben sie jetzt ihr Freiheitsbedürfnis entdeckt. Was ist die Ursache dafür, dass es zu diesem »Flächenbrand« gekommen ist?
Es gibt viele Gründe. Einer der wichtigsten ist wohl die Möglichkeit heute, internationale Kommunikation durch das Internet zu pflegen. Dadurch erhalten die Menschen Gewissheit, dass sie durch korrupte Machtcliquen regiert werden. Siehe Tunesien oder Ägypten: Es werden plötzlich Fakten bekannt. Durch das Internet stellt man fest: Wir sind ja gar nicht allein, es gibt Zehntausende, die so denken wie wir. Und sie verabreden sich z.B. per SMS zu Demonstrationen. So entsteht ein »Flächenbrand«, der im Grunde positiv ist, ganz gleich, wie er jetzt ausgeht. Denn natürlich wird es zu Enttäuschungen kommen, wie jetzt schon in Ägypten. Aber das neue Bewusstsein kann auf Dauer nicht unterdrückt werden. Deshalb haben ja andere autoritäre Staaten, die Chinesen etwa, Angst, dass sich auch bei ihnen der Freiheitsvirus ausbreitet. Sie wollen keine Öffentlichkeit, sie wollen das Internet abschotten und allein zum Instrument ihrer Herrschaft umfunktionieren. Das Internet ist längst auch eine Waffe in den Händen der Diktatoren.
Wenn Sie auf China anspielen, das aufgrund seiner wirtschaftlichen Entwicklung politisch immer bedeutender wird, stellt sich die Frage: Wie wird sich das für die Menschheit auswirken?
Wirtschaftliche Erfolge werden den Wunsch der Menschen befördern, am Staatsgeschehen mitwirken zu können. In der Weltpolitik wird China wachsende Verantwortung übernehmen müssen und hat es auch schon getan. Auf dem Feld der Finanzen, der Weltökonomie ist ja China nicht mehr wegzudenken. Menschenrechtskritik dagegen wird vom Regime immer als Einmischung empfunden, weil sie am Kern der Herrschaft nagt. Daher gehören Menschenrechte zum schwierigsten Kapitel der internationalen Politik, auch im Umgang mit China.
Wie schätzen Sie die Rolle der Bundesrepublik in diesem Zusammenhang ein? Nutzen wir unsere Position in der Welt, um vorbildlich für die Rechte der Menschen zu streiten?
Wir tun sehr viel, aber eine Voraussetzung für unsere Glaubwürdigkeit ist, dass wir Menschenrechtsverletzungen im eigenen Land wahrnehmen und bekämpfen. Wir müssen bekennen: Auch wir sind nicht von Anfechtungen frei. Aber wenn wir Fehler erkennen, bekämpfen wir sie selbst. Das ist ein Grundunterschied zu totalitären Staaten. Beispiel: Als in Deutschland vor Jahren Ausländerheime brannten, habe ich in Genf dazu selbstkritisch Stellung genommen. Fazit: Bevor wir andere kritisieren, müssen wir bereit sein, auch selbstkritisch unsere eigene Situation zu reflektieren. Das gilt im Moment zum Beispiel besonders bei der Aufarbeitung der von Ausländerfeindlichkeit motivierten Morde der Zwickauer Terrorzelle und generell für die bestehende Fremdenfeindlichkeit.
Welche Rolle spielen die außenpolitischen Interessen einzelner Staaten bei der Frage der Menschenrechte?
Die Menschenrechtspolitik aller Staaten ist immer mit ihren außenpolitischen Interessen verknüpft. Das gilt auch für Deutschland. Es wird mitunter mit zweierlei Maß gemessen. Eine Menschenrechtsverletzung wird in einem Land kritischer beurteilt als in einem anderen, weil man außenpolitische Rücksichten nimmt. Die Amerikaner praktizieren das noch sehr viel deutlicher als wir Europäer. Die mangelnde Konsequenz der Menschenrechtspolitik ist sicherlich eine Schwäche der westlichen Länder. Aber es ist die Lebenswirklichkeit.
Ein Beispiel: Die Europäer haben mit Gaddafi in Libyen noch bis kurz vor seinem Sturz verhandelt, denn er hatte den Europäern zugesichert, den afrikanischen Flüchtlingen den Weg über das Mittelmeer nach Europa abzuschneiden. Er wurde auch im Hinblick auf die Menschenrechtsverletzungen in Libyen weitgehend in Ruhe gelassen, weil er zugesagt hatte, gemeinsam mit uns den islamistischen Terror zu bekämpfen. Er bekam also einen »Menschenrechts-Rabatt«. Und natürlich hatten
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