Meine Wut ist jung
aber unverzichtbar, dass die Bürgergesellschaft große Anstrengungen unternehmen muss, um vor allen Dingen Jugendliche für die Demokratie zu gewinnen.
Die großen Städte haben diese Probleme weniger. Dort ist man auf einem guten Weg zu einer demokratischen Kultur. So in meiner Heimatstadt Dresden. Hier wünsche ich mir, dass sich die Demokraten weiterhin in der Abwehr der braunen Gefahr zusammenschließen, gemeinsam handeln und nicht den kleinen politischen Vorteil suchen. Die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus darf nicht nur darin bestehen, einmal im Jahr den Aufmärschen entgegenzutreten. Sie muss kontinuierlich erfolgen - auch mit selbstkritischer Erinnerung an die Verstrickungen der Stadt mit dem Naziregime. Das ist beispielhaft 2011 mit der Ausstellung und mit den Untersuchungen zu »Verstummte Stimmen« geschehen, ein gemeinschaftliches Projekt der Semper-Oper und des Staatsschauspiels, auf Initiative des Historikers Hannes Heer. Es ging um die Darstellung und Erinnerung an die Vertreibung aller Beschäftigten an den Dresdner Theatern in den 1930er-Jahren. Erfreulich ist, dass sich mit dieser Thematik besonders auch Schulklassen ausführlich befassen. Allerdings: Das Erinnern darf nicht von Selbstmitleid geprägt sein. Der Krieg hat unendliches Leid über viele Menschen gebracht, nicht nur in Dresden. Auch wenn mich immer noch die Frage bewegt: Warum ausgerechnet Dresden - so kurz vor dem Ende des längst entschiedenen Krieges?
Viele junge Menschen wenden sich von den Altparteien ab und haben kein Vertrauen mehr in die repräsentative Demokratie. Was können wir machen?
Wenn wir junge Menschen für die Demokratie gewinnen wollen, müssen wir auch auf ihre kritischen Fragen und Vorbehalte eingehen. In der Tat: Die repräsentative Demokratie befindet sich in einer Vertrauenskrise.
In unserer Verfassung heißt es in Artikel 20: »Alle Staatsgewalt geht vom Volk aus. Sie wird vom Volke in Wahl und Abstimmung und durch besondere Organe der Gesetzgebung der vollziehenden Gewalt und der Rechtssprechung ausgeübt.« Das ist das Modell einer mittelbaren Demokratie. Zieht man jüngere repräsentative Befra gungen zurate, so ergibt sich ein Bild, das der Verfassung nicht folgt. Nur eine Minderheit von 32 Prozent der Bürger halten die repräsentative Demokratie für überlegen gegenüber der direkten Demokratie, die von 51 Prozent der Befragten befürwortet wird. Erschreckend ist das wachsende Misstrauen gegenüber den Politikern. Die Mehrheit der Bürger vertritt inzwischen die Auffassung, dass wichtige politische Fragen vom Volk und nicht von unseren gewählten Politikern entschieden werden sollten. Die Einschätzung, Abgeordnete würden in erster Linie die Interessen der Bevölkerung vertreten, ist in den letzten 20 Jahren kontinuierlich zurückgegangen. Nur 15 Prozent der heute Befragten bringen dieses Vertrauen noch auf.
Daraus folgt: Wir müssen den Mut haben, neue Formen der direkten Demokratie zu erproben - ohne die repräsentative Demokratie zu schwächen, aber um sie zu ergänzen. Renate Köcher, die Chefin des Allensbach-Instituts, bezweifelt, ob wir durch Plebiszite zu besseren Sachentscheidungen kommen. Sie weist auf die ausgeprägte Neigung hin, gegen solche Projekte Widerstand zu leisten, die den eigenen Interessen widersprechen. Nach den Umfragen hätte kaum eine Reform des Sozialstaates, die Einschränkungen mit sich bringt, eine Chance. Es gibt dagegen andere, positive Beispiele. Wir müssen also in demokratische Lernprozesse eintreten, um zu erreichen, dass Entscheidungen sich auch am Gemeinwohl orientieren. Aber es bleibt die Erfahrung: Allein die repräsentative Demokratie ist in der Lage, Interessenkonflikte auszugleichen und Minderheiten zu schützen. Dazu gehört, dass das Vertrauen in die Parteien gestärkt werden muss. Dazu müssen diese vor allem selbst beitragen. Aus Erfahrung weiß ich, dass die Mehrheit der Volksvertreter ihre Aufgabe sehr ernst nimmt, sehr hart und am Gemeinwohl orientiert arbeitet. Parteienkritik ja, Parteienverachtung nein. Der Historiker Heinrich August Winkler, der Bemerkenswertes zu diesem Thema geschrieben hat, zitiert den Juristen und Politikwissenschaftler Ernst Fraenkel. Dieser war einer der großen jüdischen Remigranten und hat 1958 niedergeschrieben: »Ein Volk, das seinem Parlament nicht die Fähigkeit zur Repräsentation zutraut, leidet an einem demokratischen Minderheitskomplex.« Vertrauensbildende Maßnahmen zur Stärkung der
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