Meine Wut ist jung
Hans-Dietrich Genscher - damals Bundesinnenminister - gefragt, ob ich diese Aufgabe in seinem Ministerium übernehmen wollte. Ich war ihm aufgefallen als Bundesvorsitzender der Deutschen Jungdemokraten, der damals einflussreichen Jugendorganisation der FDP. Er sah mich als einen Mann, der verankert war im linken Spektrum der FDP, und er wusste, dass ich in der Partei hart gearbeitet hatte - viele Jahre lang. Und ich war an der Basis gut vernetzt. Zwischen uns bestand seit Längerem ein Gesprächs- und Vertrauensverhältnis. Er war an meiner Meinung interessiert. So besprach er mit mir regelmäßig seine Parteitagsreden, auf die er immer größte Sorgfalt verwendete. Sie waren in der Regel Grundsatzreden, mit denen er den Kurs der Partei stark beeinflusste.
War er denn so verortet wie Sie?
Im Grunde ja. Genscher war und ist ein anderes politisches Temperament und hat eine andere Art, Probleme zu lösen. Aber er schätzte mich und hat bis heute eine hohe Sensibilität für das, was ich und meine Freunde einbringen. Er wollte mich nicht für seine Vorstellungen instrumentalisieren, sondern ging von der Erkenntnis aus: Was Baum vertritt, gehört untrennbar zum Spektrum der FDP. Das dachte er nicht nur, sondern danach handelte er auch. Ich habe eine Menge von ihm gelernt.
Wie war ihr Verhältnis zu diesem Zeitpunkt? War es von Respekt getragen dem Chef gegenüber oder war es schon kollegial-freundschaftlich?
Natürlich war er als Minister der Chef. Was die Politik angeht, agierten wir gleichberechtigt. Ich hatte in einzelnen Punkten meine eigene politische Meinung und habe diese auch vertreten. Nur selten bezogen wir öffentlich gegeneinander Position, so beim Wendemanöver 1982. Ein anderer Fall: Als es um eine Amnestie für Rechtsverstöße bei Parteispenden ging, sprach ich mich im Bundestag dagegen aus. Er blieb mit seiner befürwortenden Gegenrede in der Minderheit. In Genschers Umgebung waren damals auch Günter Verheugen als Öffentlichkeitsmann und Klaus Kinkel als Büroleiter tätig. Wir alle haben Genscher beraten. Verheugen und ich natürlich eher im linksliberalen Sinne. Das war für Genscher wichtig. Unser Verhältnis war von Vertrauen geprägt, auch wenn wir uns zeitweise voneinander entfernt hatten, nämlich 1982, als er die Wende befürwortete und ich nicht. Ich wollte die Fortsetzung der sozial-liberalen Koalition, aber Genscher wandte sich Kohl zu. Wir haben uns aber nie so heftig und unwiederbringlich auseinandergesetzt, dass wir nicht mehr zueinander gefunden hätten. Ganz im Gegenteil: Nach der Wende wurde ich sein Stellvertreter im Parteivorsitz und wir haben eine persönliche Freundschaft entwickelt, die im Laufe der Jahre immer intensiver geworden ist.
In den 1970er-Jahren waren Sie als parlamentarischer Staatssekretär und später als Minister mit dem Terror der RAF konfrontiert. Wie war denn die Situation der bundesrepublikanischen Gesellschaft in dieser Zeit, als die Terroristen zuschlugen?
Die Gesellschaft befand sich in einem Umbruchprozess. Die Reformanstöße, die Reformimpulse, der Wunsch, die Republik zu reformieren, sich von den autoritären Strukturen der Vergangenheit zu lösen, das alles war eine breite Strömung, insbesondere bei der jungen Generation. Genau in diese Umbruchphase stieß die RAF hinein. Notstandsgesetze, Vietnamkrieg, Auseinandersetzung mit der Nazivergangenheit - all diese Themen trieben uns auf die Barrikaden. Aber wir in den Parteien kämpften mit den Mitteln der parlamentarischen Demokratie - für einen liberalen Staat in einer liberalen Gesellschaft. Das schlug sich dann nieder in den Reformentscheidungen der sozialliberalen Koalition.
Die RAF ist ohne diese Aufbruchsphase in den 1960er- und 1970er-Jahren, ohne die stürmischen Proteste der Studentenbewegung nicht vorstellbar. Aber die Reformbewegung ist natürlich vorstellbar ohne die RAF. Sie verkörpert eher so etwas wie die Nachtseite dieser Bewegung. Wir wollten nicht, dass der Staat so hässlich wird, wie die RAF ihn darzustellen versuchte. Aber leider provozierte ihr Auftreten staatliche Abwehrmaßnahmen, die aus heutiger Sicht oft überzogenen waren und die sinnvollen und notwendigen Reformen sogar behinderten.
Die RAF hatte die Gesellschaft herausgefordert. Sie hatte einen Schock ausgelöst. Bemerkenswert ist, wie hektisch die Gesellschaft auf die RAF reagierte. Bis heute ist diese Phase der Nachkriegsgeschichte eine offene Wunde. Eine politisch motivierte Gewalt, die sich gegen Repräsentanten
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