Meine Wut ist jung
des Staates und der Wirtschaft richtete, das kannten wir bis dahin nicht.
Hatten Sie jemals gedacht, dass es so etwas überhaupt in der Republik geben kann, dass sich eine derartige Terrorgruppe bildet?
Das war nicht vorhersehbar. Die ganze Entwickelung der RAF ist kein durchgeplanter Prozess gewesen. Sie ist eher durch Zufälle und unvorhersehbare Ereignisse entstanden. Ich denke zum Beispiel an die Befreiungsaktion für Andreas Baader, die zum wahrscheinlich überhaupt nicht geplanten Waffeneinsatz führte und damit zum Abtauchen in die Illegalität. Dann die Tötung von Benno Ohnesorg 1967 im Zusammenhang mit dem skandalösen Schah-Besuch in Berlin. Ein unglaublicher Motivationsschub für all diejenigen, die dem Staat ohnehin kritisch gegenüberstanden.
Was wusste man damals eigentlich über die Rolle von Karl-Heinz Kurras?
Dass bei der Aufarbeitung des Vorfalls vieles vertuscht wurde, haben wir vermutet. Kurras kam sehr milde davon. Den Stasi-Hintergrund kannten wir allerdings nicht. Und es spricht auch heute nichts dafür, dass er im Auftrag der Stasi handelte. Empört haben wir uns über die zum Teil sehr abstoßenden Reaktionen auf den Tod von Ohnesorg in den Medien, vor allem in der Bild-Zeitung. Dass Ohnesorg ein friedlicher Demonstrant gewesen war, wurde heruntergespielt, auch seine Tötung. Es wurde so getan, als sei der Vorfall eine Beiläufigkeit. Man kann das nicht oft genug betonen: Die Wirkung der Tat auf die jungen Leute war enorm. Sie hatten nun das Gefühl, der Staat schießt auf uns. Also schießen wir jetzt zurück.
In welcher Weise war der Staat auf den RAF-Terrorismus vorbereitet?
In keiner Weise - weder mental noch mit den Abwehrinstrumenten von Polizei und Justiz. Das Bundeskriminalamt war, als Genscher Innenminister wurde, in einem desolaten Zustand. Die Sicherheitsbehörden mussten erst einmal in die Lage versetzt werden, der Bedrohung entgegentreten zu können. In diesem Zusammenhang ist die kläglich gescheiterte Befreiungsaktion der Geiseln nach dem Anschlag auf die israelische Olympiamannschaft 1972 in München zu erwähnen. Erst danach ist die »GSG 9« als bundespolizeiliche Eingreiftruppe aufgebaut worden.
Was löste der Terror bei den politisch Verantwortlichen für unmittelbare Reaktionen aus?
Kontroversen und politischer Streit waren die Folge. Der Terrorismus wurde zum Instrument im Parteienkampf. Die konservative Opposition mit Franz Josef Strauß an der Spitze versuchte ihn »den Linken«, also der sozialliberalen Regierung, in die Schuhe zu schieben - nach dem Motto: Das habt ihr nun von eurer laxen Haltung gegenüber den Grundwerten unserer Gesellschaft. In den Augen von Strauß war ich ein »Sicherheitsrisiko«. Meine Bemühungen um Datenschutz diffamierte er als Täterschutz. Es gab allerdings auch Verharmlosungstendenzen in der linken Szene, die nicht zu billigen waren. Etwa, wenn die Anwendung von »Gewalt gegen Sachen« für gerechtfertigt erklärt wurde. In diese Kontroversen hinein spielte ein Klima der Angst, das von bestimmten Politikern und Medien geschürt wurde. Es eskalierte dann bis hin zu der Einschätzung: Die RAF ist eine akute Gefährdung für die Demokratie. Von Staatsnotstand, sogar Kriegszustand war die Rede. Nur: Die Demokratie war weder in Not noch im Krieg. Nicht wegen einiger Desperados mit ihren Sympathisanten und Helfern, deren Zahl allerdings zeitweise besorgniserregend hoch war. Die Anzahl der Mitglieder des sogenannten harten Kerns aller drei Generationen der RAF betrug zwischen den 1970er- und 1990er-Jahren zwischen 60 und 80 Personen. Am Ende stand die bittere Bilanz von 34 Mordopfern. Auf der Seite der Mitglieder und Sympathisanten der RAF kamen 27 Menschen durch Fremdeinwirkung, Selbstmord, Hungerstreik oder Krankheit ums Leben.
Der Künstler Hans-Peter Feldmann hat übrigens in einer eindrucksvollen Fotoinstallation alle Toten dargestellt, die Opfer und die Täter und auch andere Menschen, die in Folge der Eskalationen ums Leben kamen. Die normale Bevölkerung war nicht Zielscheibe des Terrorismus - abgesehen von einigen Fahrern und Polizeibeamten sowie später von Passagieren und der Besatzung bei der Kaperung des Lufthansa-Flugzeugs Landshut.
Gab es damals schon Versuche, den Ursachen des RAF-Terrors nachzugehen?
Es gab vielfältige Erklärungsversuche. Ich denke zum Beispiel an Max Frisch, der auf einem SPD-Parteitag nachdenkliche Worte sprach. Ich denke an Worte von Heinrich Böll, Hans Magnus Enzensberger und auch von Joseph
Weitere Kostenlose Bücher