Meine Wut ist jung
schützen.« Die Rechtsordnung hält mit den neuen Methoden weltweiter Kommunikation nicht Schritt. Ich plädiere wie Frank Schirrmacher, der verdienstvoller Weise im Feuilleton der FAZ schon seit längerer Zeit den IT-Themen großen Raum einräumt, für eine Abrüstung im Mehrfrontenkampf, der zurzeit öffentlich stattfindet. Es gibt eine ganze Reihe von Vorschlägen, die nüchtern durchdacht werden müssen. Die Lösung kann nicht darin bestehen, durch immer perfektere Überwachungs- und Abmahnsysteme die Nutzer zu kriminalisieren. Innovative Vergütungs- und Bezahlmodelle sind in der Diskussion. Es wäre schon ein Fortschritt, wenn die Nutzer durch den Kauf attraktiver Angebote veranlasst werden könnten, die Sphäre des Verbotenen zu vermeiden. Die Diskussion wird uns noch lange beschäftigen.
Eine weitere aktuelle Diskussion ist ebenfalls mit dem Prinzip der Menschenwürde eng verbunden. Ich meine die Debatte über Staat und Religionen.
Dazu hat Wilhelm Graf den schönen Satz geprägt: »Wir sollten das Grundgesetz nicht taufen.« Weiter führt er aus: »Die Verfassung ist ein Produkt von Aufklärungsdenken. Und die ganze Werterhetorik ist hoch ambivalent, weil sie ihrerseits die Unterscheidung von Moral und Recht unterläuft. Man hat als Staatsbürger eine Pflicht - und das gilt unabhängig von Religion - zum Rechtsgehorsam. Man hat aber nicht die Pflicht, irgendwelchen »Werten« zuzustimmen. Es ist nicht so, dass ein zugewanderter Muslim, der in diesem Land Staatsbürger ist, eine beliebige Werteordnung zu akzeptieren hätte, sondern - und das unterstütze ich mit allem Nachdruck - eine auf Werten beruhende Rechtsordnung.
Es ist allein das Grundgesetz, das den Ordnungsrahmen für das Zusammenleben der Bürger bildet und nicht eine imaginierte kulturelle Wertegemeinschaft - auch wenn diese zweifellos geprägt ist von christlicher Kultur. Spannungen zwischen religiösem und staatlichem Recht gibt es immer wieder - in allen Religionskulturen. So ist das katholische Kirchenrecht keineswegs immer kompatibel mit dem Recht der Bundesrepublik Deutschland - zum Beispiel im Bereich des Familienrechts. Graf weist darauf hin, dass man die Menschenrechte auch im Protestantismus bis in die 1950er-Jahre hinein »als liberalistische Verirrung des modernen Menschen« ansah.
In diesem Zusammenhang bitte nun ein paar Sätze zur Fremdenfeindlichkeit …
Ernst zu nehmende Untersuchungen zeigen, dass in Deutschland eine »gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit« existiert. In der großen Bielefelder Analyse »Deutsche Zustände« zeichnet Wilhelm Heitmeyer das Bild einer rohen Bürgerlichkeit. Sie zeigt sich nicht nur in der erschreckenden Abwertung und Ausgrenzung der sozial Schwachen, sondern auch in einer wachsenden Islamfeindlichkeit, nun auch bei wohlhabenden Mittelschichten. Die Radikalisierung kommt also nicht nur von den Rändern, sondern auch aus der Mitte der Gesellschaft. Thilo Sarrazin sät eine schlimme Saat, wenn er in seinen Thesen zur Intelligenz von Einwanderern die kontinuierliche Zunahme der weniger Stabilen, weniger Intelligenten und weniger Tüchtigen konstatiert. Hier findet eine diffamierende Ausgrenzung der muslimischen Mitbürger statt. Besorgniserregend ist ja nicht nur das Buch an sich, sondern sind auch seine hohen Verkaufszahlen.
Fremdenfeindlichkeit ist auch ein Antrieb für die Rechtsextremen. Was für ein Schock, als wir erfuhren, dass es mit der Zwickauer Zelle eine rechtsextremistische Terrorgruppe gab, die jahrelang unerkannt morden konnte. Opfer waren vor allem Migranten, bei denen die Polizei zunächst eine Verstrickung in kriminelle Milieus vermutet hatte. Nährboden der Zelle sind zahlreiche noch existierende Gruppierungen, bis in die NPD hinein. Vieles ist nicht neu, sondern wurde nur verdrängt. Nun ist das Land hoffentlich aufgewacht und nimmt die Gefahren ernst.
Rechtsextremistische Gruppierungen gibt es nicht nur in Ostdeutschland. Auch im Westen sind sie aktiv. Bedrückend ist die Situation vor allem in Modellregionen des Rechtsextremismus, wo gut vernetzte Strukturen sich mit der Verunsicherung der Bevölkerung und feindseligen Einstellungen gegenüber schwachen Gruppen zu einer hoch problematischen Gemengelage verbinden. In der Tat sind beispielsweise in der Sächsischen Schweiz und in Brandenburg Parallelgesellschaften entstanden, in denen die demokratische Bürgergesellschaft in die Defensive gedrückt wird und sich eine neue Angstkultur etabliert hat. Es ist leicht gesagt,
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