Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meine Wut rettet mich

Meine Wut rettet mich

Titel: Meine Wut rettet mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlis Prinzing
Vom Netzwerk:
Präsenz verbunden als bislang, wo Kanzel und kirchliche Bühnen überwogen. Freut Sie das?
    Das macht mir nichts aus, es ist etwas Schönes, sich in Kontakt mit Menschen zu begeben. Ich muss mich aber daran gewöhnen, fast unentwegt im öffentlichen Leben zu stehen, Interviews zu geben, fotografiert zu werden. Man hat ja erst einmal so eine gewisse Scham, baut sich einen Selbstschutz auf und stellt sich nicht immer gern in die erste Reihe. Das kann auch eine spezifisch weibliche Eigenschaft sein.
    Man sagt Mädchen ja auch gerne: »Stell dich nicht so in den Mittelpunkt.«
    Genau, da sind Internalisierungen in uns, die es uns Frauen nicht ganz einfach machen. Die haben Männer so nicht, deshalb fällt es ihnen, glaube ich, leichter, diese innere Grenze zu überwinden. Aber ich fange an, je länger, je mehr, daran Gefallen zu finden. Gespräche mit Menschen wie Ihnen zu führen, gefällt mir.
    Welche Rolle spielen neue Medien für Ihr künftiges Auftreten? Planen Sie, möglichst allumfassend zu kommunizieren, auch über Twitter, Facebook und Co., um möglichst viele Menschen zu erreichen?
    Ich habe mir dazu noch keine abschließende Meinung gebildet, weil ich nicht richtig einschätzen kann, was damit alles ausgelöst wird. Man kommt auf diese Weise sicher schnell und direkt in Kontakt, aber darin steckt viel manipulatives Potenzial, das »gebraucht« oder »missbraucht« werden kann.
    Und man hat die Chance und das Risiko, dauernd erreichbar zu sein, sich dauernd äußern zu sollen.
    Ja, darin steckt ein Aspekt, den ich noch nicht zu Ende gedacht habe: Es könnte auch eine wichtige Funktion einer Bischöfin sein, dem ständigen »Sich-in-der-Öffentlichkeit-präsentieren-Müssen« und Schlag auf Schlag zu jedem Thema sofort etwas sagen zu sollen, entgegenzuhalten: »Nicht immer, nicht gleich.« Ich will zuerst nachdenken, es geht darum, dass die Inhalte stimmen, und nicht vor allem die Performance. Ich meine damit eine Form der Zurückhaltung, die nicht brüskiert, nicht ablehnt, aber deutlich sagt: Ich habe auch eine eigene Meinung zum öffentlichen und medialen Wirken.
    „ Ich gehe Konflikte rechtzeitig an, sobald ich sie erkenne. ”
    Die taz bezeichnete Sie nach Ihrer Wahl als Frau »ohne Kanten«. Gehen Sie Konflikten aus dem Weg?
    Nein. Eben nicht. Aber ich gehe Konflikte rechtzeitig an, sobald ich sie erkenne. Das habe ich zum Beispiel im pröpstlichen Amt gelernt, und auch, wie das dann vernünftig zu machen ist. Allerdings glaube ich, in unserer Kirche und in vielen Kontexten, wo die Harmoniebedürftigkeit sehr groß ist, gibt es eine falsche, manchmal sehr verletzende Art von Aggressionshemmung.
    Was meinen Sie damit?
    Die Menschen sind aggressiv, sauer und verletzt, haben aber keine Sprache dafür. Oder sie glauben, das im kirchlichen Raum nicht sagen zu dürfen. Ich bin durch meine Erfahrung in der Personal- und Organisationsentwicklung mittlerweile wirklich geschult und bestärkt: Man muss die Dinge rechtzeitig ansprechen, in einer versachlichenden Form. Ungelöste Konflikte schwelen und verhärten.
    Illustrieren Sie das bitte an einem Beispiel.
    Eine Gemeinde ist über lange Jahre nicht mit ihrem Pastor zufrieden. Es gibt immer wieder Hinweise, aber kein Mensch spricht es aus. Dann kommt der sogenannte »10-Jahres-TÜV«, zu dem die Pröpstin kommt und nachfragt: Wie geht es miteinander? Auch da trauen sich die meisten nicht, auszusprechen, was wirklich los ist. Ich versuche, das Gespräch zu öffnen und alle Seiten zu ermutigen, den Pastor, auch den Kirchenvorstand. Das braucht Zeit. Die Bearbeitung von Konflikten erfordert immer Zeit und Energie. Aber unterm Strich ermöglicht nur ein behutsames, aber deutliches Herangehen an Konflikte, dass man zu Lösungen kommt und zu Einigungen. Das kann auch heißen, dass ein Pastor sich sagt, wahrscheinlich bin ich hier überhaupt nie richtig angekommen und gehe lieber. Und er ist zufrieden, dies erkannt zu haben. Das ist besser, als sich zu quälen. Solche selbstquälerischen Situationen gibt es öfter in Gemeinden. Ich bin durch Erfahrungen in den vergangenen zehn Jahren mutiger geworden. Ich sage mir, man muss klar ansprechen, wenn man etwas Konfliktträchtiges wahrnimmt.
    Und dann benennen. Das trifft auch für soziale Spannungen zu. Hier anzusetzen, haben Sie als eines Ihrer Ziele als Bischöfin angegeben. Und in Ihrer bisherigen Hauptkirche, St. Jacobi, einer City-Kirche, hatten Sie Licht und Schatten, Arm und Reich eng beieinander. Wo identifizieren Sie

Weitere Kostenlose Bücher