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Meine Wut rettet mich

Meine Wut rettet mich

Titel: Meine Wut rettet mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlis Prinzing
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nehme eine klerikale Haltung ein. Denn sie habe ihre Meinung als die richtige dargestellt. Das widerspreche dem protestantischen Bild des Priestertums aller Gläubigen, weil es ja innerhalb des Protestantismus verschiedenartige Meinungen zum Afghanistaneinsatz gebe. Das dürfte beispielsweise beim Thema Somalia ähnlich sein.
    Man äußert sich natürlich auch als Person, wenn man sich institutionell äußert. Ich bemühe mich, die verschiedenen Perspektiven in unseren Reihen aufzugreifen. Trotzdem ist es manchmal gut und auch genug, wenn man nur die eigene Position markiert. Die Diskussion um Afghanistan wurde so emotional geführt, dass eine rhetorische Beschreibung »Nichts ist gut in Afghanistan«, die sich im Kontext der gesamten Predigt ganz anders anhört, als Diskreditierung des Einsatzes der Soldaten vor Ort verstanden wurde. Vieles wurde vermengt und verkürzt. Immer wieder werden öffentlich Aussagen wiedergegeben, die man selbst weit stärker differenziert gemeint hat. Ich achte in Interviews zunehmend darauf, bereits so differenziert wie möglich zu beschreiben, um das möglichst zu vermeiden. Man muss aber auch aushalten, dass manche einen einfach missverstehen wollen. Und es mag sein, dass man selbst einmal einen zentralen Aspekt übersieht, dann muss man sich dafür eben entschuldigen. Wichtig ist aber, weiterhin Position zu beziehen und sich nicht zu verstecken.
    Naheliegend ist, dass sich die Kirche schon wegen der Schöpfungsgeschichte in Umweltfragen zu Wort meldet, und nach der Atomkatastrophe in Fukushima im Frühjahr 2011 speziell zu Energiefragen. Wie sehen Sie diese Aufgabe?
    In den zehn Jahren, die ich jetzt ins Amt gewählt bin, soll der Atomausstieg vonstattengehen. Wir dürfen als Kirche nicht müde werden zu betonen, dass der Ausstieg wichtig ist und es um die Bewahrung der Schöpfung geht. Das bedeutet auch, den Umstieg auf erneuerbare Energien aktiv zu begleiten und anzumahnen, dass dafür genügend Geld zur Verfügung gestellt wird.
    Sie beschreiben Ihre Aufgabe ganz klar als eine politische – im Sinne eines Parteiergreifens. Für was alles?
    Überall, wo die Würde von Menschen angetastet wird, das ist ja auch Grundlage unseres Grundgesetzes. Das bezieht sich auf die Schöpfung und auf die Menschen. Kirchen haben die Pflicht, Fehlentwicklungen etwas entgegenzuhalten.
    Dennoch geriet die Kirche als Institution in die Krise, viele Menschen können mit ihr nichts mehr anfangen. Sie haben im Rahmen eines Projekts Tausende Briefe von Austrittswilligen gelesen. Was sind die hauptsächlichen Beweggründe?
    Es gibt zwei Phänomene. Das eine ist ausgelöst durch die sich erhöhenden finanziellen Belastungen. Menschen prüfen, wo sie sparen können und was ihnen bestimmte Ausgaben »bringen«. Fragt jemand, was es ihm nutze, Kirchensteuer zu bezahlen, kann man natürlich auf die sozialen Einrichtungen verweisen, die Diakonie, die Kindergärten. Aber darauf zielt diese Frage im Kern nicht. Die Menschen wollen schlicht wissen, was ihnen persönlich die Kirche bringt, als, ich sage es mal etwas überspitzt, Service-Betrieb. Daran zeigt sich eine Haltung, mit der in unserer Gesellschaft im Moment auf viele Institutionen geschaut wird: Input und Output müssen sich ausgleichen. Diese Einstellung entwickelte sich seit den Achtzigerjahren. Das zweite Phänomen ist die tiefe Enttäuschung in konkreten Lebenssituationen. Wenn man sich von Pastorinnen und Pastoren, zum Beispiel in einem Trauerfall oder bei Fragen an den Glauben, nicht richtig wahrgenommen fühlt.
    Illustrieren Sie das bitte mit einem konkreten Beispiel.
    Ein Pastor hat bei der Beerdigung konsequent den Namen eines Verstorbenen falsch gesagt. Das war sicher unglücklich und ein Versehen. Doch ich kann nachvollziehen, dass die Witwe sagte: »Dieser Pastor hat gar nichts von meinem Mann verstanden.« Gerade die Amtshandlungen sind wichtige Schwellenrituale, die den Menschen helfen, Abschiede zu leben und sich gleichzeitig wieder neu dem Leben zuzuwenden. Nicht jetzt und gleich, aber zu ihren Zeiten. Die Trauerfeier ist ein verdichtetes Ritual, in dem sich das Alte mit dem Neuen verbinden kann. Und wenn das so richtig danebengeht, zum Beispiel indem der falsche Name genannt wird, so wird dies als tiefe Kränkung empfunden und als entwürdigend.
    In St. Jacobi haben Sie eine Wiedereintrittsstelle eingerichtet. Warum kommen Menschen zurück zur Kirche?
    Sie haben das Gefühl, da sei eine Leerstelle in ihrem Leben. Sie fühlen sich verloren,

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