Meine Wut rettet mich
erträumen. Wir sind Hände, Augen, Herz Christi! Wir Christen sollten Gottes Träume wahr machen.
Hierzulande wird Mission oft mit extremer Frömmigkeit gleichgesetzt.
Saß man früher als Ordensschwester in vollem Ornat im Zug, gingen die meisten Leute an einem vorbei in ein anderes Abteil. War dies nicht möglich und man kam sogar ins Gespräch, dann wählten sie garantiert ein religiöses Thema. Nach dem Motto: Wer so aussieht wie die, spricht nur über Religion. Das geht mir auch bei Solwodi immer wieder so, obwohl ich keine Tracht mehr trage: Wenn Frauen zu mir kommen, die wissen, ich bin Ordensschwester – und ich bin das ja auch mit Überzeugung –, dann denken die von vornherein: »Bei der müssen wir fromm sein.« Eine Frau, die aus einem Bordell wegrannte zur Polizei und von den Beamten erfuhr, man bringe sie zu Schwestern, erzählte mir später, damals habe sie gedacht: »Ach du liebe Zeit, jetzt muss ich auch noch beten, jetzt komme ich vom Regen in die Traufe.« Genau das wollte ich nie. Ich wollte den Leuten zeigen: Ich bin offen; und ich bin Ordensschwester. Aber deshalb müssen sie nicht Ordensschwester werden und sie brauchen auch keine frommen Gespräche zu führen. So habe ich meine Mission nie verstanden, nirgendwo.
Sondern wie? Was heißt für Sie persönlich Mission?
Ich habe immer gedacht, wir müssen das tun, wovon wir überzeugt sind: für die Menschen da sein und ihnen helfen, ohne Auflagen zu machen.
„ Wir müssen das tun, wovon wir überzeugt sind: für die Menschen da sein und ihnen helfen, ohne Auflagen zu machen. ”
Denkbar wäre aber auch, dass Menschen auch Hilfe suchen in Form von Glaubensorientierung.
Eine chinesische Ärztin hat mir sogar vorgeworfen, dass ich sie nicht sozusagen bekehrt habe. Sie wurde zwar Christin, aber erst viele Jahre, nachdem wir uns zum ersten Mal gesehen hatten.
Wie kam das dann?
Ihre Tochter wurde Christin. Und sie erzählte mir, sie habe ihrer Mama gesagt, sie solle sich doch auch taufen lassen. Denn die Mama habe viele Probleme. »Wenn ich Probleme habe, dann weiß ich, an wen ich mich wende«, sagte sie zu mir, das solle ihre Mama auch haben. Wenn ein Kind das zu seiner Mutter sagt, ist das viel überzeugender, als wenn ich große Diskussionen führe.
Wieso wurde die Tochter zuerst Christin?
Die Mutter schickte das Mädchen zu Schwestern in die Schule, weil Schwestern ihr geholfen hatten. Sie kam wegen eines medizinischen Forschungsprojekts nach Deutschland und erfuhr kurz nach ihrer Ankunft, dass sie schwanger war. Zu mir kam sie, weil die chinesische Botschaft sie zum Abbruch zwingen wollte. Denn sie war in zweiter Ehe mit einem Arzt verheiratet, der schon ein Kind hatte. Sie wollte das Kind, doch ein Botschaftsmitarbeiter begleitete sie zum Arzt, damit sie abtrieb. Alles andere hätte der chinesischen Ein-Kind-Politik widersprochen. Er zeigte sie an, weil sie weiterhin ablehnte. Sie verlor sofort die Aufenthalts- und die Arbeitserlaubnis in Deutschland und schloss sich ein, um nicht nach China zurückgebracht zu werden, wo der Abbruch unvermeidbar gewesen wäre. Wir holten sie zu uns und sie konnte hier ihre Tochter bekommen. Damals, 1995, war Weltfrauenkonferenz. Ich sprach die damalige CDU-Familienministerin Claudia Nolte an und sie half, gemeinsam mit dem damaligen Innenminister, dass die Frau und ihr Kind politisches Asyl erhielten.
Sie beschränken sozusagen die direkte Glaubensmission auf das Vorleben, so wie bei Ihren Kindern.
Genau. Mit Frauen im engeren Umfeld von Solwodi feiern wir immer ein großes Weihnachtsfest. Wir gehen in die Kirche und erklären, was für uns Weihnachten bedeutet. Aber keine wird gezwungen, das auch zu glauben.
Worin unterscheiden sich für Sie Erziehung und Mission?
Ist nicht jede Erziehung ein Stück Mission? Eltern wollen ja, dass ihre Kinder auf eine richtige Bahn kommen. Deshalb geben sie das, was sie glauben und wovon sie überzeugt sind, weiter. So ist jede Erziehung auch Mission.
Mission geschieht für Sie vor allem durch das eigene Beispiel. Genügt dies als Erziehungsprinzip: Geschieht Erziehung fast von selbst, wenn das Vorbild da ist?
In der Erziehung ist es wichtig zu respektieren, was in den Kindern steckt. Erziehende sind wie Hebammen. Sie helfen, dass Kinder erwachsen werden und dass ihre Fähigkeiten und Gaben zum Ausdruck kommen und lebendig werden. Mir war wichtig, dass die Kinder später ihr Leben gut in den Griff kriegen. Sie sollten zum Beispiel lernen, ihre Aufgaben zu
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