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Meine Wut rettet mich

Meine Wut rettet mich

Titel: Meine Wut rettet mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlis Prinzing
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mich um neun Uhr abends von meinen Freundinnen verabschiedet, weil ich Sonntag früh freiwillig und kostenlos Dienst im Krankenhaus leisten wollte, ich sprach mit ihnen gerne über die Messdienergruppe und so fort. Heute glaube ich, sie haben bald bemerkt, noch vor mir: Mein Herz ist besetzt, sie kommen da nicht rein.
    Auch keine glaubensfeste Katholikin?
    Es ging ja nicht um die gleiche Ansicht zu bestimmten Fragen, sondern um die Neigung des Herzens. Und die war damals schon gestiftet in mir, nur ruderte ich noch ein bisschen blind herum, bis ich sie entdeckte. Mit 17 dann, so formuliere ich das heute, wurde mir bewusst, dass in mir die Grammatik des Evangeliums leben wollte. Nicht als Fremdsprache, sondern als Muttersprache. Bekehrung ist das Hinfinden zur Muttersprache. Wer, wie ich, mit Gott eine Erfahrung gemacht hat, findet zum Schöpfer der Welt und damit zur Muttersprache seiner Existenz. Das Evangelium ist der Ausdruck der Muttersprache aller Menschen. Wer den Geist, nicht nur die Wörter des Evangeliums aufnimmt, der findet sie.
    Lebenswege haben viel mit Sozialisation zu tun. Wie entscheidend ist es, in ein christliches Elternhaus geboren zu sein?
    Ich habe mit 140 Jahrgangskameraden Abitur gemacht. Vier wurden Priester, zwei gingen ins Kloster, etliche traten aus der Kirche aus oder wurden super-atheistisch. Ich sage heute Eltern, die daran leiden, dass ihre Kinder nicht glauben: »Das ist ein Gottesbeweis. Denn man kann den Glauben nicht anerziehen, es ist Gott selbst, der die religiöse Erziehung fruchtbar macht, wie er will.«
    „ Man kann den Glauben nicht anerziehen. Gott macht die religiöse Erziehung fruchtbar, wie er will. ”
    Was wäre wohl, wenn Sie als Jude, Muslim oder Buddhist geboren wären?
    Vermutlich hätte mich Gott dort auch erwischt. Es gibt wunderbare Atheisten von tiefer Spiritualität und meditativer Weite, Buddhisten mit reicher Erfahrung in Meditation, tiefgläubige Juden – für mich hat all dies nur einen Namen: Jesus von Nazaret.
    Welche Rolle spielt das Katholisch-Sein?
    Die katholische Kirche begreift sich als Werkzeug der innigsten Vereinigung zwischen Gott und den Menschen. Die katholische Kirche als Einrichtung ist so was von unwichtig; ich suche auch keine Mitglieder für die katholische Kirche. Die Leute können sein, was sie wollen – Juden, Atheisten, was auch immer. Mich ärgert die Medienaufmerksamkeit zum Papstbesuch in Deutschland. Denn sie verrückt völlig die Wahrnehmung. Es geht überhaupt nicht um Würdenträger und Kardinäle – es geht um das Feuer des Glaubens.
    Was ist für Sie persönlich die katholische Kirche?
    In ihr finde ich die Quelle, die Botschaft und den Widerhall des Evangeliums, aus dem ich schöpfe, wenn ich zu Menschen gehe.
    Sie haben den Glauben mit der Liebe verglichen. An einer Liebe kann man auch zweifeln. Wann haben Sie an Ihrer Glaubensliebe gezweifelt?
    Ich war nach vier Jahren als Kaplan gerade in Stühlingen, in unserem »Kloster zum Mitleben« angekommen. Da erlebte ich etwas, das die Mystiker »Nacht« nennen: eine Zeit, in der man verzweifelt mit sich und mit Gott. Nicht mehr an sich glaubt, sich besäuft, nachts durchs Haus streift, sinnentleert, auf den Flur kotzt, nicht weiß, wie einem ist. Am nächsten Morgen sitzt man beim Gebet und beschimpft sich innerlich als größten Blasphemiker der ganzen Welt: »Da betest du und eigentlich glaubst du ja gar nicht …«
    … wie fanden Sie ans Licht?
    Ein Mitbruder, der selbst solche Kämpfe kannte, entschlüsselte mir, dass dies auch eine Dimension des Glaubens ist, die aber nicht viele erfahren, weil sie sich erst gar nicht auf eine solche Höllenfahrt einlassen.
    Wieso haben Sie dies nicht mit sich selbst ausgetragen?
    Aber ich lebe doch in einer Gemeinschaft. Ich bin aufgefallen – einem wenigstens.
    Haben das alle gesehen?
    Er hat mich erwischt. Er war Gottseidank aufmerksam.
    Einige Jahre zuvor, als Sie in Graz studierten, wurde Ihnen ausgerechnet die Gemeinschaft zu einer Last, die Sie an den Rand des Abgrunds trieb.
    Ich stand kurz vor dem Selbstmord. Ich fand überhaupt kein Verständnis bei den Brüdern im Kloster.
    Warum?
    Mit meinem Hochdeutsch muss ich in den Ohren meiner österreichischen Brüder wie der »Tagesschau«-Sprecher geklungen haben. Und mit diesem Gefühl begegneten mir die Brüder, nach dem Motto: »Wer so spricht, ist ein eingebildeter Pinkel, lässt sich nichts sagen und gibt den Professor.« Hinzu kam: Ich hatte damals für ein Jahr ein Konto

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