Meine Wut rettet mich
dass er normalerweise Papa ist oder Ehemann.
Freund ist auch eine Rolle.
Nein. Ein Freund ist einfach da.
Kommt man zu einem Freund am ehesten in einer Notlage?
Nein, dann wäre in der Freundschaftsbeziehung gleich ein Ungleichgewicht. Ich weiß nicht, wie man einen Freund findet. Ich habe drei Freunde, zwei Männer und eine Frau. Das sind Menschen, von denen ich weiß, dass ich zu ihnen gehen kann und bei ihnen sein kann, es aber nicht muss.
Haben Sie schon einen Freund verloren?
Ja. Einmal. Vielleicht. Wir hatten sechs Jahre keinen Kontakt, dann wieder, jetzt schon wieder fünf Jahre nicht mehr. Es gab keinen Anlass, es herrscht einfach Funkstille.
Ist Ihnen eine Freundschaft zerbrochen?
Eine Freundschaft nicht, aber was dann kommt.
Wie?
Es ging um eine geistliche Verwandtschaft. Jemand kam zu mir als Priester, voll religiöser Sehnsucht. Ich wollte diesem Menschen zur Seite stehen und sah in ihr – es war eine Frau – eine Schwester im Glauben. Ich fand es in Ordnung, dass sie in mir einen Bruder im Glauben sah. Sie hat vieles getan für die Gemeinde, am Ende musste ich mir aber sagen: Es war auch für mich. Ich dachte, sie findet zu ihrer Lebensaufgabe, wenn ich mir Zeit nehme für sie und mich um sie sorge. Doch plötzlich sah ich: Ich hatte nicht richtig hingeguckt, ich hatte nicht gesehen, dass in den Augen dieser Frau mehr war, als ich lange sehen wollte: Sie wollte mehr Zeit. Mehr Zuwendung. Von mir. Ich bin dann zu ihr, habe ihr erklärt, dass es eine Schieflage gebe und dass Worte wie »Bruder« und »Schwester« für mich nicht mehr stimmen und ich ab sofort keinen Kontakt mehr möchte.
Und Sie standen auf und gingen.
Ja.
Und dann?
Es war schlimm. Manchmal denke ich noch heute: Darf man das – als Mensch? Als Priester? Darf dieser Bruch bleiben? Darf der Schmerz sein, den ich ihr zugefügt habe? Ich konnte aber nicht anders. Ich musste klar sein für mich. Und sie hat nichts davon, wenn ich ihr Worte sage, die ihr gefallen, die ich aber nicht meine. Das habe ich aber eine Zeit lang getan. Einfach, um ihr gut zu sein.
Was fehlte Ihnen nach dem Bruch?
Mehr, als ich dachte. Aber es war gut so. Zumindest für mich.
Inwiefern?
Ich habe der Freiheit die Ehre gegeben. Es waren zu viele Ebenen ineinandergewurschtelt: Kirche, Glaube, Heimat, Zukunft. So konnte es nicht gut weitergehen.
Was war der Auslöser?
Ich verbrachte, so der Eindruck der Frau, von meiner Zeit mehr mit einzelnen anderen in der Gemeinde als mit ihr. Plötzlich fühlte ich mich beobachtet. Unfrei.
Welche Rolle spielt bei einem solchen Bruch der Glaube?
Was geschieht, geschieht ja immer in Gott. Fehlgefühle, echte und unechte Begegnungen. Gott ist nicht Harmonie, sondern Liebe, die Wahrheit will und Gerechtigkeit. Was unter Menschen geschieht, geschieht unter Gottesgeschöpfen und man muss sich fragen: »Was geschieht hier zwischen uns und zwischen uns und Gott?« Glauben und Beten sind Hilfen zur Supervision, zur Draufsicht. Man kann sich, ähnlich wie in einer familientherapeutischen Sitzung, vorstellen, man sitze auf dem Schrank und beobachte, was im Wohnzimmer so abgeht. Durch Gebet und Mediation hilft Gott uns, zu erkennen, was los ist, und uns selbst nicht so wichtig zu nehmen. Das ist eine Einladung zur Freiheit und dazu, mit sich ins Reine zu kommen und weder sich noch anderen etwas vorzumachen.
Mildert der Glaube das Leiden?
O nein, der Glaube bewahrt einen nicht vor Höllenfahrten. Jesus berichtet, wie er ins Reich der Toten hinabgestiegen ist; die orthodoxe Mystik kennt dieses Bild; ich bin mehrmals in Höllen geraten. Das geht ganz schnell. Du bist im Internet, steckst plötzlich in einer dieser Porno-Seiten – dann erst denkst du nach: »Was hast du da gemacht, wieso hast du hier Menschenverachtendstes angeguckt?«
Sie könnten sich rausreden. Aus theologischem Interesse …
Das hilft mir nicht, weil ich weiß, es stimmt nicht. Es geschah aus einem ganz archaischen, chauvinistischen, frauenverachtenden Antrieb heraus. Für mich ist das eine Höllenfahrt, ich habe teilgenommen an einer Welt, in der Frauen sich zur Hölle fahren lassen, und ich stoße sie durch meine Aufmerksamkeit noch da rein. Ich bin ein Sünder. Und nicht nur da. Ich werfe mir manchmal vor, egoman zu sein, zum Beispiel Kranke nicht zu besuchen, obwohl ich es sollte, vielen Hoffnungen zu machen über Mail und Twitter und Facebook und dann doch nicht allen zu antworten. Gut, ich weiß: Wer öffentlich Zeichen setzt, kann
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