Meine Wut rettet mich
erhalten, um zu lernen, wie man ein Konto führt, und musste die Oberen nicht fragen, wenn ich etwas kaufen wollte. Ein Mitbruder war ein richtiger Choleriker, der hat mich hysterisch angeschrien, ich wolle nur für mich leben, nicht über Geld reden, etwas Besseres sein. Dauernd wurde ich verdächtigt. Eines Tages stand ich in meinem Zimmer am Fenster, in fünfzehn Metern Höhe, und dachte, ich halte das jetzt einfach nicht mehr aus. Es war eine unerträgliche Situation. Ich war überzeugt, ich kann nicht mehr leben. Auch nicht mehr glauben. Da half kein Beten. Nichts. Ich war einfach am Ende. Wenn du so was von abgelehnt wirst, dann ist das nicht zum Aushalten (schweigt) .
Ich erinnerte mich in dieser Situation an einen Kurs mit Hilarion Petzold, dem »Papst« der Gestalttherapeuten, drei Wochen zuvor bei einer Fortbildung für Theologen und Mediziner. Petzold ließ uns zum Thema Tod eine Stunde lang ein Bild malen, das wir anschließend interpretierten. Für mich war es ein Aha-Erlebnis, wie sich in Bildern die Seele widerspiegeln kann … Langsam bewegte ich mich weg vom Fenster, holte eine Rolle Packpapier und malte mit Wachsmalkreiden ein riesiges Seelenbild mit allem, was in mir tobte. Ich hängte es über das Bett, dann ging es mir etwas besser.
Eigentlich hätte gerade diese Gemeinschaft niemals so mit einem Bruder umgehen dürfen …
Hätte nicht. Sollte nicht – mit 22 dachte ich auch so. Ich träumte davon, dass die Brüder alle in Harmonie leben, zumindest leben wollen. Doch genau das gelingt nicht. Man ist ja unter Menschen. Manche der Vorwürfe von damals höre ich auch heute immer wieder, vor allem, weil ich im Fernsehen auftrete: Ich würde mich aufspielen, betreibe Schauspielerei, wolle Leute verführen.
Wie gehen Sie heute damit um?
Ich versuche herauszufinden, weshalb mir einer solche Dinge an den Kopf wirft. Dann ist meistens auch ein vernünftiges Gespräch möglich. Und ich habe begonnen, vieles von mir zu erzählen, von dem, was mich umtreibt, wie es mir geht. Und dass mir längst nicht alles klar ist, auch wenn sich vieles von dem, was ich sage, so klar anhört.
Was behalten Sie für sich?
Dinge, die auch ein Mann mit seiner Frau nicht teilen würde. Gotteserfahrungen und Fantasien, die man nur mit seinem Beichtvater bespricht, Gedanken und Träume, die man einfach nicht erzählt. Ich sage auch Ehepaaren: »Bitte teilen Sie dem anderen nicht alles mit. Der Mensch muss ein Geheimnis vor dem anderen haben, sonst hält man das Zusammenleben nicht aus.« Würde ein Mann all seine Gedanken und Träume vor seiner Frau ausbreiten, würde er sofort zum Teufel geschickt. Es gibt eine Vernunft und eine Klugheit der Liebe.
Inwiefern lässt sich das auf Ihre Gemeinschaft übertragen?
Als ich zum ersten Mal Klosterleiter war, ließ ich eine Supervision machen. Eineinhalb Stunden übernahm ein Außenstehender die Leitung, gruppendynamische Veränderungen ermöglichten Äußerungen, die der eine oder andere sonst vermutlich nie getan hätte. Doch als der Supervisor weg war, stand das Gesagte weiterhin im Raum. Wir waren kaum in der Lage, das zu tragen. Das würde ich nicht mehr machen. Man darf nicht alles vor allen ausbreiten. Ich kenne das auch aus Selbsterfahrungsgruppen: Wäre da der jeweilige Lebenspartner ständig dabei, wäre das schrecklich, weil in der Dynamik einer Gruppe, die sich für ein Wochenende trifft, und dafür bezahlt hat, dass sie sicher geleitet wird, vieles ausbrechen kann, was man in der Dynamik der Zweierbeziehung klugerweise besser für sich behält. Wahrheit ist ein Beziehungswort!
In Graz waren Sie nicht in der Position, aktiv für Veränderung zu sorgen. Sie hätten aber gehen können, statt fast in den Tod zu springen, in eine andere Niederlassung wechseln können.
Das konnte ich nicht. Wenn ich überhaupt für mich eine Aufgabe sehe, dann die, ein Friedensmodell zu leben mit diesen Menschen. Das heißt, Gewalt zu ertragen, wie Jesus in der Bergpredigt sagt, nach einem Schlag ins Gesicht noch die andere Wange hinzuhalten. Und wenn einem jemand einen Mantel nimmt, ihm noch einen zweiten zu geben. Ich habe eine Gemeinschaft gewählt, in der ich das leben kann und will. Und in der ich geliebt werde, auch dann, wenn ich mal der Bösewicht für einen anderen bin – das kommt ja auch vor.
Verletzen Sie andere?
Unbewusst sicher.
Wo sind Ihre Schwächen bezogen auf die Gemeinschaft?
Ich müsste mich viel mehr mit meinen Brüdern befassen, viel mehr Zeit mit ihnen
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