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Meine Wut rettet mich

Meine Wut rettet mich

Titel: Meine Wut rettet mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlis Prinzing
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einmal etwas unterstellen, ehe sie mit einem reden. Die kannten mich gar nicht. Dieses Kategorisieren habe ich auch bei Linksprotestanten erlebt. Damit muss man leben. Es müssen nicht alle meiner Meinung sein. Man darf ja streiten. Die Antwort auf die Frage, warum einer etwas macht, kann auch darin bestehen, dass man ihm zunächst einmal niedere Motive unterstellt.
    Oder dass derjenige von sich ausgeht?
    Auch das. Aber all das halte ich nicht weiter für schlimm, solange man darüber sprechen kann und diese Leute nicht automatisch die Bestimmer sind.
    „ Ich kann nicht gehorchen. Ich will es auch nicht. ”
    Sie beschreiben sich als konfliktbereit und selbstbewusst. Wann machen Sie Kompromisse?
    Mein Punkt ist: Ich kann nicht gehorchen. Ich will es auch nicht. Ich kann etwas einsehen, wenn man es mir erklärt, und ich kann mich des lieben Friedens willen zurückhalten, weil ich jemanden nicht verletzen will. Aber ich ordne mich nicht unter, einfach des Unterordnens wegen. Ich kann natürlich Regeln und Gesetze einhalten und habe John Rawls 63 Hauptwerk gelesen, »Gerechtigkeit als Fairness«. Wir brauchen Regeln und Gesetze, auf die wir uns in Freiheit freiwillig verständigen und versprechen sie einzuhalten. Anders ist kein Zusammenleben möglich. Freiheit hat ihre Grenze, wenn sie die Freiheit anderer einschränkt. Aber das freie Nachdenken lasse ich mir nicht einschränken, und ich will mitreden. Als Katholik konnte ich das weit weniger als jetzt.
    „ Das freie Nachdenken lasse ich mir nicht einschränken, und ich will mitreden. ”
    Wie relevant ist heutzutage eine konfessionelle Publizistik?
    Weiß ich nicht. Ich kann nur sagen, es gibt Sorgen und Nöte von Christen. Man kann auch nicht unterscheiden zwischen den Sorgen der evangelischen und der katholischen Christen. Mir fällt nur auf, dass es offenbar den evangelischen Medien leichter fällt, miteinander zu reden und sich einzumischen, weil sie etwas offener gestrickt sind und nicht so sehr den Zensurmechanismen unterliegen. Das hat eher mit der Verfasstheit der Kirchen zu tun als mit der Konfession.
    Sie sind Chefredakteur von chrismon 64 , wo Ihnen auch ein Herausgeberteam aus Führungspersonen der evangelischen Kirche zur Seite steht. Mit Ihrem Buch »Unter Ketzern« haben Sie sich selbst ins Kreuzfeuer der Kritik gestellt. Die Reaktionen der Leser waren geteilt, katholische Würdenträger protestierten. Welche Reaktionen kamen aus der evangelischen Führungsspitze?
    Auch hier gab es Stimmen, die kritisierten, dass mein Buch so kurz vor dem Papstbesuch herauskam. Die Herausgeber von chrismon distanzierten sich teilweise von meinen inhaltlichen Aussagen. Aber alle sagten übereinstimmend: »In der evangelischen Kirche besteht Pressefreiheit. Wenn ein Publizist so denkt, dann darf er das auch schreiben.« Das ist entscheidend. Es ist legitim, dass manche sauer sind. Das muss ich aushalten, und sie müssen mich aushalten. Das stört mich nicht, das verbindet uns. Es gibt auch Stimmen, gerade aus der Hochschultheologie und von der ökumenischen Basis, die fanden: »Hut ab, Klasse, das ist gut evangelisch«.
    chrismon richtet sich auch an die Zweifelnden. Ein Beispiel ist der Schweizer Autor Martin Suter 65 , der sagte: »An einen gerechten und gnädigen Gott glaube ich im Moment nicht, denn wenn es ihn gibt, dann hat er mir ein Kind genommen. Wenn es einen Gott gibt, habe ich ein Hühnchen mit ihm zu rupfen. Dieser Gott verlangt etwas von mir, also stelle ich auch Ansprüche an ihn, und dann nehme ich ihm den Tod meines Kindes übel.« Das gefällt nicht allen Lesern, manche sind irritiert. Warum greifen Sie dennoch solche Positionen auf?
    Wir haben Martin Suter bewusst auf die Titelseite genommen. Sein 3-jähriger Sohn ist erstickt, und das machte ihn zum Zweifler. Manche Leser haben uns vorgeworfen, wir würden Kirchensteuermittel verschwenden, um Ungläubigen Raum auf der Seite eins zu geben. Ich bin aber der Meinung, dass »Zweifel« der Künstlername des Glaubens ist. Wer sagt: »Ich würde gerne glauben, kann es aber nicht«, ist in einer ähnlichen Position wie der Jünger Thomas. Wer nicht zweifelt, kann nicht glauben. Wer etwas anderes behauptet, ist entweder göttlich oder er lügt. Die Bibel ist voller Psalmen, in denen die Psalmisten Gott anbrüllen: »Warum lässt Du das zu?« Die Warum-Frage auch gegenüber dem Unbedingten ist eine Alltagsfrage, sie gehört dazu. Überall. In der chrismon -Redaktion, im Vatikan, im Taxi, im Bordell –

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