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Meine Wut rettet mich

Meine Wut rettet mich

Titel: Meine Wut rettet mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlis Prinzing
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zunächst einmal Jude und beschnitten wurde. Paulus widersprach und korrigierte ihn. Es bedürfe keiner Voraussetzungen. Entscheidend sei, an die befreiende Botschaft der Liebe Gottes durch Jesus Christus zu glauben und zu erklären: »Ich begebe mich in die Nachfolge von Jesus.« Dann gehöre man dazu, dürfe mitreden und mitstreiten.
    Diese Vorstellung von Christentum hat mich nie wieder losgelassen.
    Warum blieben Sie weitere zehn Jahre katholisch, obwohl Sie mit zwanzig schon so begeistert vom Protestantismus waren? Was hielt Sie noch?
    Liebe Menschen, auch Priester in Kirchengemeinden in Württemberg, die ich durch eine Konversion nicht vor den Kopf stoßen wollte. Das ist für manche schlimmer, als wenn einer »nur« austritt. Im Rheinland fiel mir das leichter. Ich war zwar Mitglied der »Gesellschaft Katholischer Publizisten Deutschlands« und hatte einen Lehrauftrag beim »Institut zur Förderung publizistischen Nachwuchses« der Deutschen Bischofskonferenz, war also ein durchaus präsenter Katholik. Aber ich war menschlich noch nicht so in einer Gemeinde verwurzelt, weil ich ja noch nicht lange dort arbeitete.
    Sie haben mal gesagt, Sie wären Pfarrer geworden, wenn Sie nicht katholisch gewesen wären. Der Zölibat habe Sie abgehalten. Als Sie die Kirche wechselten, waren Sie dreißig, jung genug, auch noch den Beruf zu wechseln. Ähnlich wie die Menschen, die Sie vor einigen Jahren porträtierten 58 : die Lehrerin, die Pastorin wurde, die Schauspielerin, die als Ärztin ihren eigentlichen Beruf fand, der Elektriker, der mit 55 Jahren zum Bischof gewählt wurde. Haben Sie sich damals überlegt, nun evangelischer Theologe zu werden?
    Hätte ich machen können, aber das war dann nicht mehr in meinem Lebenshorizont. Ich war gerne Journalist und sehr zufrieden. Ich war ja schon ein Schul-Chaot gewesen und hatte den Bildungsbetrieb noch immer satt.
    Warum?
    Ich war der Auffassung, dass der Einzige, der mich bilden kann, ich selbst bin. Deshalb habe ich immer wieder die Schule geschwänzt, um in dieser Zeit in der Bibliothek zu sitzen und das zu lesen, was ich wichtig fand.
    Zum Beispiel?
    Mich begeisterte »Antigone« von Sophokles, ein 2500 Jahre altes Stück, das viele Autoren in der Aufklärung, aber auch Gegenwartsautoren inspiriert und zu Neudichtungen gereizt hat. Ich fragte, ob wir darüber ausführlicher als geplant im Unterricht sprechen könnten. Das wurde abgelehnt, der Lehrplan sehe etwas anderes vor. Ich bin dann statt in den Unterricht in die Unibibliothek gegangen und habe mir dort die Antigone-Bearbeitungen von Anouilh und Brecht reingezogen 59 . Ich habe dann den Fehler gemacht, meine Erkenntnisse daraus in die Klassenarbeit einfließen zu lassen. Normalerweise schrieb ich in Deutsch Einsen. Doch diese Arbeit bekam ich zurück mit einer »Vier bis Fünf«. Achtzig Prozent des Textes war mit einer roten Schlangenlinie versehen und mit einer Fußnote: »Nicht im Unterricht behandelter Stoff kann nicht bewertet werden.« Das fand ich frech.
    Haben Sie sich auch arrangiert?
    Ich habe mich oft mit Lehrern gestritten. Es gab auch welche, mit denen das gut ging, fast freundschaftlich. Auf Ratschläge wie »Sei klug wie die Schlange, spiel einfach deren Spiel mit, dann hast du Ruhe«, ging ich nie ein. Ich ließ mich nicht unterkriegen. Und ich wusste viel, weil ich immer viel gelesen habe. Kreuz und quer.
    Schule ist nicht Hochschule …
    Ein Freund von mir studierte in Tübingen Philosophie. Er las nur Sekundärliteratur. Ich fragte, warum er nicht die Originaltexte lese. Er müsse einen Schein machen, da sei das günstiger, sagte er mir. »Aber der Schein ist doch irrelevant, was zählt, sind doch deine Erkenntnisse«, versuchte ich ihn zu überzeugen. Er beharrte: »Ich brauche doch die Testate.« Ich bin immer meiner Nase gefolgt, kam vom einen aufs andere. Über E.T.A. Hoffmanns Märchen »Klein Zaches« stieß ich auf Zachäus in der Bibel und landete bei der Religionssoziologie von Émile Durkheim 60 . Für mich stellte sich die Frage nicht, mit über dreißig noch in einer Hochschule zu sitzen, zusammen mit 20-Jährigen, und sich die Vorlesung irgendeines Professors anzuhören, nur damit ich am Ende ein Zertifikat habe. Das wollte ich nicht.
    Sie sind in Baden-Württemberg aufgewachsen und arbeiteten mit 21 als Jungredakteur in Calw, im Nordschwarzwald. In dieser Gegend spielte nicht der aufgeschlossene Protestantismus, sondern der konservative die prägende Rolle.
    Der Pietkong! Ja, klar, das

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