Meine Wut rettet mich
überall können wir nur auf Gnade hoffen, auf Erlösung, und auf die Botschaft der Liebe setzen. Wo und wie dies funktioniert, das weiß man nirgendwo auf dieser Welt. Allein die Tatsache, dass wir ein solches Warum an ihn hinbrüllen dürfen, spricht für die Liebe Gottes. Denn wir brauchen jemanden, an den wir unsere Ratlosigkeit adressieren können. Jemanden, der größer ist als wir und als unsere Ratlosigkeit.
„ Wer nicht zweifelt, kann nicht glauben. ”
Im November 2010 wurde der katholisch orientierte Rheinische Merkur eingestellt. Er erscheint seither reduziert als sechsseitige Beilage Christ und Welt in der Zeit. Damit ist eine Stimme in der konfessionellen Publizistik zumindest nur noch leise zu hören. Inwiefern ist das ein Verlust?
Weiß ich nicht. Ich musste vor zwölf Jahren leider das Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt einstellen. Wir hatten zu den Kollegen vom Rheinischen Merkur eine gute, kollegiale Beziehung, und es gab eine Anzeigengemeinschaft. Inhaltlich hat uns vieles getrennt. Der Rheinische Merkur hat sich immer als ökumenisch wahrgenommen, wirkte aber, zumindest von außen betrachtet, überhaupt nicht so.
Die Bild -Zeitung sorgte mit der Schlagzeile »Wir sind Papst« am 20. Mai 2005, einen Tag nach der Wahl von Joseph Ratzinger, für Aufmerksamkeit und hängte die Titelseite auf 2900 Quadratmeter vergrößert aus Anlass des Papstbesuches im September 2011 an das Springer-Hochhaus in Berlin. Bild spielt zwar eher den Nationalstolz an und betreibt Eigenwerbung. Doch inhaltlich deckt sich der Satz im Grunde mit der protestantischen Auffassung von Kirche: Jeder ist Petrus, alle sind Papst. Erklären Sie das bitte genauer.
In der Bibel selbst gibt es überhaupt keine Belege für eine heilige Hierarchie. Der Papst ist nach katholischer Lehre der Nachfolger des Petrus als Bischof von Rom. Wenn es aber keine Hierarchie gibt und alle, die Jesus nachfolgen, gleichermaßen angesprochen sind, dann heißt das: Wir alle sind Nachfolger von Petrus, nicht nur ein römischer Potentat. Jeder der zwei Milliarden Christen ist Papst. Es gibt kein weltliches Oberhaupt. Der Papst aus Rom ist einfach ein Bruder, ein netter, kluger Theologe, der leider ein paar kirchliche Positionen vertritt, die ich nicht teile. Luthers großes Kirchenbild von 1528, das Bild der unsichtbaren Kirche, besagt: Wir sind als Christen immer und überall Kirche. Da, wo Christen sind, ist Kirche. Egal wer herrscht: der Türke, der Perser, der Tartar oder der Papst. Es gibt in dieser Kirche nur ein wirkliches Oberhaupt: Jesus Christus. Es gibt noch Bischöfe und Pfarrer. Das sind die Diener und Freunde dieser Botschaft. Aber sie sind nicht Oberhäupter. Ich sehe den Bruder Benedikt als einen Diener und Freund dieser Art. Er ist ein Nachfolger Petri, und ich bin einer. Alle, die glauben, sind angesprochen, wenn Jesus zu Petrus sagt, er sei der Fels, auf den er seine Gemeinde bauen wolle. Alle, die sich in die Botschaft der Liebe einbringen und glauben, dass uns Erlösung zuteilwerden kann, wenn wir dem Weg der Liebe und der Hoffnung auf Gnade folgen, haben teil am Erbe der Apostel.
„ Da, wo Christen sind, ist Kirche. ”
Warum wirkten beim Papstbesuch 2011 die Protestanten ganz aufgeregt vor dem Treffen mit Benedikt XVI., wenn für sie der Papst nur einer ist wie wir alle?
Ich verstehe das schon. Das ist einfach ein Event – wie ein Konzert. Der Sänger ist ja auch einer wie wir alle und für uns dennoch auch noch etwas Besonderes. Ähnlich ist die Wirkung, die der Papst hat. Er trägt ein besonderes, weißes Gewand, und wenn man zu ihm geladen wird, zu einer Audienz, findet man sich in einer exklusiven Runde.
Als der Papst fünf Jahre zuvor, ebenfalls in offizieller Mission, Deutschland besuchte, schrieben Sie, nun sei es höchste Zeit, die Ökumene anzupacken. Es geschah danach wenig. Was haben Sie dieses Mal erwartet?
Nichts. Aber ich hätte mich gerne überraschen lassen. Das geschah jedoch nicht. Es war einfach nett, man hat miteinander gebetet und ist Gottseidank nicht übereinander hergefallen. Es geschah nichts Substanzielles. Der Kirchenbann gegen Luther wurde wieder nicht aufgehoben. Und es wird sich weiterhin nichts ändern. Nichts am Umgang der katholischen Kirche mit der Moderne, nichts daran, dass Geschiedene es schwer haben in dieser Kirche. Oder an den Gehorsamsstrukturen, durch die katholische Laien kirchenrechtlich aufgefordert sind zu denunzieren, wenn jemand Dinge erzählt, die der päpstlichen Lehre
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