Meine Wut rettet mich
Schwächen und Stärken um. Ich sehe diese und manchmal ärgern sie mich auch. Aber da ich selbst Schwächen und Stärken habe, kann ich damit leben. Und auch, weil die evangelische Kirche von sich behauptet, sie sei Menschenwerk, sei der Gnade bedürftig, korrekturbedürftig und auch korrekturfähig. Gottseidank.
Sie argumentieren oft dialektisch: hier die katholischen Kleriker, die wie Leuchttürme Wache halten – dort die Protestanten, die aktiv ihr Christentum im Alltag leben. Auch in der katholischen Kirche sitzen viele Ordensleute an der Pinne des Boots, sie sind aktiv, handeln, helfen.
Stimmt. Und diese Franziskaner und Jesuiten, zum Beispiel in den Favelas in Südamerikas Großstädten, genießen meine höchste Achtung. Hinzu kommt: Weite Teile der katholischen Kirche in Deutschland sind protestantisiert. Die leben im Grunde evangelisch, obwohl die Menschen weiterhin als Katholiken registriert sind. Mir fällt da eine katholische Gemeinde im Taunus ein. Dort gibt es keinen Priester mehr. Also machen die Menschen dort sich einfach ihren Gottesdienst selbst und setzen sich anschließend zum Mahl zusammen. Das ist schon nicht mehr lutherisch, das ist ein reformierter, ein calvinistischer Gottesdienst.
Das trifft doch genau den Verdacht, den Rom gegenüber den deutschen Katholiken erhebt: Sie würden sich viel zu sehr den Evangelischen annähern.
Mehr noch: Sie seien verseucht, reformatorisch verseucht. Diesen reformatorischen Germanen darf und braucht man als Weltkirche nicht hinterherzulaufen. Das denkt selbst der Germane Ratzinger. In Rom kursiert die Sottise: »Tutti tedesci sono protestanti! – Alle Deutschen sind Protestanten« – außer Benedikt und Bischöfen vom Schlage eines Joachim Meisner 68 .
Und nun?
Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder löst sich das von selbst und es gibt mit der Zeit auf diesem Weg keine Katholiken mehr. Oder der Herr lässt ein Wunder geschehen, und es gibt eine Veränderung innerhalb der katholischen Kirche.
„ Es gibt in Wirklichkeit schon längst kein römisches Monopol mehr auf das Christentum. ”
Stichwort Weltkirche: Es ist ja nicht gerade so, dass es beim globalen Blick nirgendwo anders für die katholische Kirche Probleme gäbe als in Deutschland. Da sind zum Beispiel in Lateinamerika die Befreiungstheologen und die Pfingstkirchen in Afrika.
Die Welt ist einfach bunter und vielfältiger geworden. Es gibt in Wirklichkeit schon längst kein römisches Monopol mehr auf das Christentum.
Was muss Ihrer Ansicht nach erfüllt sein, um sich zu einer einzigen christlichen Weltkirche zu verbinden?
Jeder muss akzeptieren, dass es viele Zugänge zum Heiligen Geist gibt, und dem, der sein Christsein anders lebt als man selbst, in Liebe verbunden bleiben. »Oikumene« bedeutet eigentlich Hausgemeinschaft. Das heißt nicht, dass wir ständig in einem Zimmer sitzen und miteinander beten, sondern dass wir miteinander leben. Es ist wie zu Hause: Manchmal sitzt man in verschiedenen Zimmern, der eine spielt Computer, der andere Cello. Das muss auch zwischen Christen gehen. Ich finde die Unterschiede nicht so wichtig wie das Gemeinsame. Aber man muss die Punkte benennen dürfen, an denen man anderer Ansicht ist – zum Beispiel beim Priestertum für Frauen –, ohne dass einem entgegengehalten wird: »Das geht dich nichts an.«
In der katholischen Kirche gibt es viele Themen, die kontrovers diskutiert werden. Und in der evangelischen?
Ich finde, dass es im Protestantismus gut läuft zurzeit. Wir haben gute Protagonisten, die gut miteinander umgehen. Die Kirche bewegt sich. Sie ist Menschenwerk, sie macht viele Fehler, auch die evangelische. Es gibt sehr gute Predigten und schlechte. Auch unter den evangelischen Geistlichen gab es welche, die sich sexueller Gewalt schuldig gemacht haben. Aber die evangelische Kirche ist fähig zur Korrektur. Im Katholizismus kann die Kirche nicht irren, sondern nur Einzelne.
Bleiben wir beim Beispiel sexualisierte Gewalt. Klaus Mertes zum Beispiel, der als Leiter des Canisius-Kollegs in Berlin eine Welle der Aufdeckung sexuellen Missbrauchs auslöste, sieht die katholische Kirche auch als Institution in der Pflicht.
Ja, es gibt in der katholischen Kirche auch einige, die das so sehen. Was Mertes für seine Kirche Positives geleistet hat, werden manche erst in Jahrzehnten begreifen. Doch genau diese Sicht werfen ihm und den anderen die konservativen Bischöfe vor. Zum Beispiel der Erzbischof von Köln, Kardinal Joachim Meisner. Oder der
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