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Meine zwei Halbzeiten

Titel: Meine zwei Halbzeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Berger
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denken.
    |19| Als ich den Bahnhofsvorplatz erreichte, setzte sich der Regionalzug, auf den der Läufer es noch geschafft hatte aufzuspringen,
     in Bewegung. Das ganze Gelände war wie leergefegt, kein Mensch zu sehen. Angespannt starrte ich auf die rostigen Gleise.
    Kurz darauf rollte der Zug aus Budapest ein. Pünktlich. Ich fühlte mich augenblicklich erleichtert. Wäre er mit großer Verspätung
     in Subotica angekommen, mein weiteres Leben wäre möglicherweise anders verlaufen. Ein langes Warten hätte ich bestimmt nicht
     ausgehalten, ich wäre wieder ins Hotel zurückgegangen.
    So aber suchte ich mir ein Abteil im mittleren Zugabschnitt, damit ich von der Waggontür aus die Eingangshalle übersehen konnte.
     Fahr los!, dachte ich nur noch. Panik machte sich auf einmal in mir breit, eine Panik, wie ich sie nie zuvor kennengelernt
     hatte.
    Endlich das erlösende Signal zur Abfahrt. Jetzt gab es endgültig kein Zurück mehr!

|20| 2
Mit falschem Pass im Haschisch-Express
    |21| Erst als der Zug bereits einige Minuten in Bewegung war, setzte ich mich erschöpft auf den nächstbesten freien Platz. Doch
     schon überfiel mich der nächste Schrecken: Mir wurde in aller Deutlichkeit bewusst, dass ich meine Flucht überhaupt nicht
     organisiert hatte. Ich, der vierunddreißig Jahre im Arbeiter-und-Bauern-Staat lebte, in dem «Planerfüllung» an oberster Stelle
     stand, hatte anscheinend nicht viel gelernt. Aus einem Bauchgefühl heraus hatte ich die Fahrkarte nach Belgrad gekauft, instinktiv
     hatte ich Zahnschmerzen vorgetäuscht – mehr aber auch nicht.
    Wie sollte ich eigentlich von Belgrad aus in die Bundesrepublik kommen? Ich hatte nicht die geringste Idee, dabei war ich
     von meinem Ziel noch weit entfernt. Sehr weit. Mit diesem Moment war ich zwar wie Lutz Eigendorf ein Republikflüchtiger, ein
     «Verräter». Im Gegensatz zu ihm konnte ich aber noch gefasst werden. Ich musste mir dringend etwas einfallen lassen.
    Als sich ungefähr gegen acht, halb neun der Zug dem Belgrader Bahnhof näherte, überlegte ich angestrengt. Ich kannte ihn nicht.
     Vielleicht war er ein Kopfbahnhof wie der in Leipzig, wo man leicht jemandem in die Arme laufen konnte. Es war nicht abwegig,
     sich vorzustellen, dass man mich dort erwartete. Die Spieler und die Delegationsteilnehmer waren beim Frühstück, dabei musste
     ihnen längst meine Abwesenheit aufgefallen sein. Ein einziger Anruf in der Belgrader DD R-Botschaft genügte, um entsprechende Maßnahmen einzuleiten.
    Zu meinem Vorteil waren die damaligen Züge so konstruiert, dass man sie während der Fahrt öffnen konnte. Als der Containerbahnhof
     von Belgrad sichtbar wurde – er war dem Bahnhof für Personenzüge vorgelagert, das hatte mir ein Mitreisender erzählt   –, verlangsamte der Lokführer die Geschwindigkeit, der Zug stand fast. Diesen Moment nutzte ich aus, um vom Trittbrett herabzuspringen.
    Über viele Gleise gelangte ich in eine Nebenstraße des Bahnhofs mit kleinen Läden und Cafés. In einem von ihnen trank ich |22| eine Cola, nicht eine Club-Cola, wie es sie in der DDR gab, sondern eine Coca-Cola.
    Als ich das Glas mit dem braunen Getränk in der Hand hielt, wurde mir klar: Ich musste zur westdeutschen Botschaft. Ernsthafte
     Alternativen fielen mir nicht ein, sosehr ich auch verschiedene Möglichkeiten durchspielte, etwa eine nächtliche Grenzüberquerung.
     Alles, was in diese Richtung ging, verwarf ich sofort. Es schien mir zu gefährlich – einen Helden wollte ich nicht spielen.
     Doch wo lag die Botschaft? Da ich keine Ahnung hatte, blieb mir nichts anderes übrig, als jemanden zu fragen. Zuerst schaute
     ich mir einige Westautos an, die vor einer Ampel hielten. Ich konnte mich aber nicht überwinden, einen der Fahrer anzusprechen.
     Zu schnell schaltete die Ampel auf Grün, dies war eindeutig nicht die richtige Situation, um nach dem Weg zu fragen. Dann
     betrat ich ein Bahnhofshotel. In der Lobby saß eine Gruppe von Männern beisammen, die Deutsch sprachen. Waren das westdeutsche
     Touristen oder Handelsreisende? Oder etwa DD R-Bürger ? Auch damit musste ich rechnen. Wenn dem so war, konnten es nur Privilegierte meines Staates sein – und die würden keineswegs
     behilflich sein wollen.
    Mich verließ der Mut, verzagt trat ich aus dem Hotel heraus und wanderte ziellos durch die Straßen. Schließlich sprach ich
     einen Jugoslawen an, fragte ihn, ob er vielleicht wüsste, wo die westdeutsche Botschaft läge. Er schüttelte nur den Kopf,
     konnte

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