Meine zwei Halbzeiten
es mir nicht sagen, vielleicht hatte er mich auch erst gar nicht verstanden.
Swissair! Über einem Schaufenster hing ein Schild mit dieser Aufschrift. Es handelte sich um eine Agentur der Schweizer Fluggesellschaft.
Ich öffnete die Tür. Hinter einem Schalter stand eine Frau, die ich ansprach: «Können Sie mir sagen, wie ich das Büro der
Lufthansa finde?» Die deutsche Fluglinie musste die Adresse der Botschaft kennen und die Fluggesellschaften untereinander
die jeweiligen Niederlassungen. Richtig gedacht! Auf Schweizerdeutsch |23| erklärte mir die Dame, wie ich zum Lufthansa-Center kommen würde, dazu verließ sie sogar ihren Schalterbereich und trat mit
mir vor die Tür.
Ganz einfach war es nicht, das Lufthansa-Büro ausfindig zu machen, aber schließlich war ich da.
«Gibt es hier jemanden, der Deutsch spricht und aus der Bundesrepublik ist?», fragte ich einen Mann, der meiner Einschätzung
nach ein Jugoslawe war.
«Worum geht es denn?» Der Angesprochene beherrschte ein sehr gutes Deutsch, doch, wie ich vermutet hatte, mit einem Akzent.
«Das kann ich Ihnen nicht sagen. Aber ich möchte gern mit einem Westdeutschen reden.»
Der Jugoslawe ging in den hinteren Teil der Räumlichkeiten, ohne dabei eine Miene zu verziehen. Nach einer Weile kam er in
Begleitung eines jüngeren Mannes zurück.
«Kann ich Sie bitte unter vier Augen sprechen?», fragte ich diesen.
Wortlos wies er mit der Hand in Richtung Hinterzimmer. Dort erzählte ich ihm in einer Kurzversion von meiner Flucht. Am Ende
meines Berichts sagte er: «Ich habe von dem Länderspiel gehört. Können Sie sich ausweisen?»
Es gab damals Gerüchte über geplante Anschläge der RAF auf Botschaften, deshalb war man besonders vorsichtig. Immerhin konnte
ich ein Terrorist sein. Von diesen Zusammenhängen und den verstärkten Sicherheitsmaßnahmen wusste ich jedoch noch nichts.
Der Lufthansa-Mitarbeiter schaute sich meinen Ausweis an. «Sie sind jetzt hier in Belgrad, Herr Berger. Aber wie soll es weitergehen?»
«Ich möchte zur Botschaft der Bundesrepublik Deutschland. Vielleicht kann man mir dort helfen. Ich könnte politisches Asyl
beantragen.»
|24| «Das ist eine gute Idee. Aber Sie gehen dort nicht allein hin, ich werde Sie begleiten.»
Ich konnte kaum glauben, dass dieser Mann mir zur Seite stehen wollte. Hatte er schon öfter mit Flüchtlingen zu tun gehabt?
Ich wagte nicht, ihn danach zu fragen. Bevor wir aufbrachen, schenkte er mir noch einen Kaffee ein und bot mir etwas von seinen
mitgebrachten Broten an.
Die Strecke sei nicht weit, man könne zu Fuß dorthin, gab er mir zu verstehen, als wir uns auf den Weg gemacht hatten. Nach
und nach wurde es leerer auf den Straßen, die Häuser lagen weit auseinander, wirkten vornehm.
«Da vorn ist die deutsche Botschaft», sagte mein freundlicher Begleiter auf einmal und zeigte auf ein großes, helles Gebäude.
Es war leicht nach hinten versetzt und mutete für damalige Zeiten modern an. «Gehen Sie nicht so nah an der Straße. Man könnte
sie von DD R-Seite aus schon erwarten.»
Angstschweiß brach aus mir heraus. An was alles hätte ich denken müssen, an was alles hatte ich nicht gedacht! Eigentlich
war es eine naive Vorstellung, einfach die westdeutsche Botschaft aufsuchen zu wollen. Unabhängig von der SE D-Propaganda war Jugoslawien doch ein sozialistisches Land mit engen Kontakten zur Deutschen Demokratischen Republik. Vielleicht würde
ich mit meinem Pass erst gar keinen Zutritt zur BR D-Botschaft erhalten? Dann hätte ich ein gewaltiges Problem.
War es überhaupt schon mal vorgekommen, dass ein DD R-Bürger in Belgrad um Asyl gebeten hatte? Mir war nichts dergleichen bekannt. Aber man hätte dies auch nicht groß in den Zeitungen
thematisiert. Keiner konnte ein Interesse daran haben, dass solche Fluchtmöglichkeiten publik wurden, weder die BRD noch die
DDR.
Kurz darauf standen wir vor der Kneza Miloša 76. Wir gingen ein paar Treppenstufen hinauf bis zu einer Glaswand, hinter der ein Angestellter der Botschaft saß. Nach einer
Aufforderung |25| schoben mein Begleiter und ich unsere Pässe durch einen dafür vorgesehenen Schlitz. Als sich der Botschaftsmitarbeiter meinen
Ausweis ansah, sagte ich: «Ich bin Bürger der DDR.» Der Mann schaute mich ein wenig merkwürdig an, dann antwortete er: «Sie
sind Deutscher.»
Sie sind Deutscher!
Als ich diese Worte hörte, liefen Schauer über meinen Rücken. Nie hatte ich Deutscher sein dürfen,
Weitere Kostenlose Bücher