Meineid
nicht lauter, nicht schärfer im Ton. Er wurde eisig. Karreis und Feibert schienen zu wissen, was als Nächstes kam. Sie hingen wie gebannt an seinen Lippen, fast so, als warteten sie auf die Verkündung eines neuen Evangeliums. Greta saß da mit angespannter Miene. Und Jan – seit wir den Raum betreten hatten, war sein Gesicht wie mit Wachs überzogen. Er fühlte sich unsicher und war bemüht, es nicht zu zeigen. Aber ich hatte es schon beim Frühstück gespürt. Es war ein Fehler gewesen, ihn ins Bett zu schicken wie einen kleinen Jungen. Es war ein noch größerer Fehler, dass ich, als wir Gretas Wohnung verließen, zu ihm sagte:
«Egal, was kommt, du hältst den Mund. Das Reden überlässt du mir.»
Er traute uns nicht mehr. Wie sollte er auch, wir hatten die halbe Nacht über ihn und sein Schicksal verhandelt, ohne uns zu überzeugen, ob er tatsächlich schlief. Die Tür des Schlafzimmers war zwar geschlossen gewesen. Aber wer lauschen will – nur der Himmel wusste, ob und wie viel er mitgehört hatte. Luis kam endlich zum Kernpunkt. Ich – Axel Berle! Das war mein Stichwort. Doch bevor ich auch nur Luft für den Ansatz holen konnte, bot Jan eine so umwerfend logische Erklärung für sein Machwerk, dass keinem noch so versierten Psychologen Zweifel an seiner Aufrichtigkeit gekommen wären. Die Ursprungsidee zum Roman begründete sich in seinen Schuldgefühlen und dem Gedankenspiel, was wäre geschehen, wenn. Er hätte das Leben seines Vaters retten können, wenn er damals die Schuld auf sich genommen hätte. Niemand hätte ein vierjähriges Kind für den Tod der Mutter zur Verantwortung gezogen. In dem Alter wäre wohl nicht einmal eine Heimeinweisung erfolgt. Jan hätte mit einem Geständnis also nicht nur seinen Vater vor dem Gefängnis und dem Freitod bewahrt, er hätte auch sich selbst eine Menge schlimmer Erfahrungen erspart. Er wollte noch mehr sagen. Luis unterbrach ihn mit einer unwilligen Handbewegung.
«Niemand hätte Ihnen geglaubt, Herr Tinner. Ein vierjähriges Kind greift nicht aus Angst zu einem Messer. Ein vierjähriges Kind weiß auch nicht, dass der Hals die verwundbarste Stelle ist.»
Jan konterte mit einem Lied, das seine Mutter oft gesungen habe. Das Lied vom Wolf und dem Schaf, in dem es an einer Stelle hieß:
«Beißt das Schäfchen in den Hals, beißt das Schäfchen tot.»
Damit hakte Luis die Mutter und das Vorgeplänkel ab. Er musste die Stimme nicht heben, um die Atmosphäre im Raum bedrohlich zu verdichten. Er sprach nur die beiden Namen aus. Barbara McKinney und Janine Breste!
«Es gab bei der Obduktion beider Frauen zahlreiche Ungereimtheiten. Ich habe die Akten hier.»
Luis zeigte auf den zweiten und dritten Papierstapel.
«Und ich verstehe nicht, dass die Kollegen dem nicht die notwendige Beachtung geschenkt haben. Da ist zum Beispiel ein Schädelbruch bei McKinney, der untypisch für einen Verkehrsunfall ist. Ein Lochbruch, wie man ihn häufig nach Schlageinwirkung mit spitzen Gegenständen sieht. Darüber hinaus waren McKinneys Finger gebrochen. An beiden Händen, Herr Tinner, das sind insgesamt acht Finger. Das sieht nicht nach einem Unfall aus, Herr Tinner, das war Rache. Und es gibt eine Romanszene, in der Josy Barringer mit der Hand befriedigt, anschließend zerrt Axel Berle sie nach hinten.»
In dem Moment hatte Greta das Gefühl, zu ersticken. Ich sah, wie sie sich an den Hals fasste. Luis beobachtete sie ebenfalls, während er weitersprach.
«Im Fall Breste war es kaum anders. Sie waren in der Wohnung, als Janine Breste starb. Es gab auch bei ihr Verletzungen, die nicht ins Gesamtbild passten. Gebrochene Rippen, wie soll das passiert sein bei einer Frau, die im Bett einschlief?»
Jan hob die Schultern:
«Woher soll ich das wissen? Ich bin kein Mediziner.»
«Dann will ich es Ihnen erklären», sagte Luis.
«So etwas passiert, wenn ein Mann einer Frau vor oder nach einem erzwungenen Verkehr das Knie in die Rippen stößt. Dass Sie kurz vor Janine Brestes Tod Verkehr mit ihr hatten, wurde zweifelsfrei nachgewiesen. Ihrer damaligen Aussage zufolge verließen sie anschließend das Schlafzimmer, weil Sie sich noch einen Film anschauen wollten. Darüber seien Sie eingeschlafen und aufgewacht in dichtem Rauch.»
Luis ließ Greta nicht aus den Augen, als wolle er sich vergewissern, dass sie aufmerksam zuhörte. Er fuhr fort.
«Ich will Ihnen sagen, was mich an dieser Aussage stört. Ein schlafender Mann wird von Rauch in den seltensten Fällen aufgeweckt. Und
Weitere Kostenlose Bücher