Meineid
sich benimmt. Vielleicht hat er aus dem Fenster geschaut und mein Auto … Ich habe das Gefühl er weiß etwas, aber er ist nicht völlig sicher und will mich dazu bringen, dass ich … Ich wollte nicht, dass sie stirbt, Niklas, ich wollte es wirklich nicht. Ich wollte nur nichts mehr davon hören. In all den Jahren wusste ich, dass sie lügt. Aber als sie sagte, sie säuft nur, damit sie es aushält, wusste ich nicht mehr, was ich glauben sollte, weil du doch auch ständig …»
Ich konnte ihr nicht antworten, beim besten Willen nicht. Ich zog sie nur an mich und sah mich mit ihr und der Familie Damner in einem kleinen Wohnzimmer sitzen, in dem Tess mir die Luft zum Atmen nahm. Dann sah ich uns in der Ausstellungshalle stehen. Gretas Freude beim Anblick einer runden Badewanne und von drei Dutzend Wasserhähnen, ihr Begreifen. Ich hörte sie sagen:
«Ich kann alleine aufstehen.»
Und ich dachte, jetzt nicht mehr. Ich hatte mich nie zuvor so schuldig gefühlt wie in diesen Minuten. Ich war der Besessene gewesen, ich hatte ihr das Messer in die Hand gedrückt und sie zerbrochen, die starke, unbeugsame Greta Baresi. Und wenn Jan sie jetzt erpressen konnte – mit einem Verdacht, wenn er aus meiner gestrigen Erklärung ihres Geständnisses erst die richtigen Schlüsse zog … Ich hatte Angst, zum ersten Mal in meinem Leben richtige, grausame Angst, Greta endgültig zu verlieren.
.
« Am Dienstagmorgen Punkt neun schloss sich die Tür zu Luis Abelers Büro hinter uns. Luis machte nicht den Versuch, seine Anweisung durchzusetzen und sich Jan alleine vorzunehmen. Und da Greta nun einmal mitgekommen war, durfte sie ebenfalls dabei sein. Immerhin ging es, wie Luis betonte, auch um ihren Hals. Aber den sollte er nicht anrühren, dafür wollte ich sorgen. Von der Wut, die Luis am Vorabend ins Telefon gebrüllt hatte, war noch kein Quäntchen verraucht. Im Gegenteil, sie schien über Nacht gewachsen, türmte sich auf seinem Schreibtisch wie eine massive Wand zwischen ihm und uns. Karreis und Feibert waren bereits anwesend, als wir hereinkamen. Es gab nicht genug Sitzgelegenheiten. Ich holte einen Stuhl für Greta vom Korridor. Dann ging es los. Zu Anfang gab Luis sich noch ein wenig Mühe, seinen Zorn zu kontrollieren. Er hatte drei Bündel Papier vor sich auf dem Schreibtisch. Zwei davon waren Akten, das dritte ein halber Roman. Und zuerst ging es nur darum. Luis holte etwas weiter aus. Was wir für unwahrscheinlich gehalten hatten, war geschehen. Tess hatte sich vor einiger Zeit – ein genaues Datum konnte Luis nicht mehr nennen, es mochte Ende April, Anfang Mai gewesen sein – mit einer ungewöhnlichen Bitte an ihn gewandt. Ob es für ihn die Möglichkeit gebe, in zwei Todesfällen zu recherchieren, die vor Jahren in Norddeutschland geschehen seien. Tess hatte ihm die Namen McKinney und Breste genannt und erklärt, sie hege einen grauenhaften Verdacht. Sie könne damit unmöglich zu Niklas oder Greta gehen. Beide würden sie auslachen. Aber wenn auch nur ein Körnchen Tatsache an dem sei, was ihr Mann seit drei Jahren als Roman verarbeite … Wie Luis es schilderte, hatte er die Angelegenheit auf die leichte Schulter genommen. Er kannte Tess und ihren Hang zu Übertreibung, Ausschmückung oder freier Erfindung. Das warf er sich nun vor. Gefreut hatte er sich, nach so langer Zeit wieder einmal von ihr zu hören. Den Gefallen tat er ihr gerne. Er telefonierte für sie, hörte von zwei Unfalltoten und wollte die Sache damit abhaken. Aber als er ihr telefonisch mitteilte, es sei alles in Ordnung, sei sie sehr bedrückt gewesen und habe ihn um ein Gespräch unter vier Augen gebeten. Zwei Tage später sei sie zu ihm ins Büro gekommen und habe ihm zweihundert Seiten bedrucktes Papier, einschließlich des Personenregisters, vorgelegt. Nur habe er immer noch keinen Grund zur Besorgnis gesehen. Es war grässlich zu lesen, aber es gab scheußlichere Sachen. Man erinnere sich nur an den Marquis de Sade oder den neuzeitlichen Abklatsch, wo es statt einer eingenähten Maus eine Ratte sein musste. Luis kannte nicht nur den Titel des neuzeitlichen Abklatsches, er wusste auch, dass darin neben der Ratte solides Werkzeug für den gestandenen Heimwerker zum Einsatz kam. Ich fragte mich, warum er uns das so ausführlich erklärte. Er wollte uns gewiss nicht mit seinen Literaturkenntnissen imponieren. Zu Tess habe er gesagt, das sei wohl jetzt so Mode bei der schreibenden Zunft. Mit dem letzten Satz änderte sich sein Verhalten. Er wurde
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