Meineid
einem Berg aus – und das gleich in zweifacher Hinsicht. Dass ich Tess seit Beginn ihrer Schwangerschaft nicht mehr ausgeführt hatte, war für Greta der Beweis meiner verletzten Gefühle. Da hatte sie mich nun unentwegt gewarnt vor dem schäbigen Spiel, das Tess mit mir trieb, aber ich hatte ja nicht hören wollen. Bis ich mit dem Baby den Beweis serviert bekam, dass ich nur gut gewesen war, die Lücken zu füllen. Ich ließ Greta in dem Glauben, Tess habe mich furchtbar verletzt. Ihre zeitaufwendige Tätigkeit als juristische Beraterin für einen Roman verschaffte mir ausreichend Gelegenheit, Tess in der Stadt zu treffen, ohne dass Greta davon erfuhr. Wenn Tess bei ihr erschien und ich ebenfalls anwesend war, stand ich pflichtschuldigst auf und verabschiedete mich. Sie besuchte Greta nach der Trennung von ihrem Liebhaber häufig, nach Mandys Geburt machte sie zwei Abende in der Woche zur Regel. Worüber sie sich unterhielten? Nicht über Jan Tinner, da bin ich sicher, sonst wäre wahrscheinlich alles anders gekommen. Ich nehme an, sie sprachen über mich, meine Geduld, Ausdauer, Gefühle und die Fähigkeit, dass ich alles vergeben und vergessen konnte, wenn man mir nur genug Zeit einräumte. Sie müssen über mich gesprochen haben, weil Greta plötzlich behauptete, mit Mandy auf dem Arm stehe Tess einer Zukunft als Frau Brand nicht mehr so abgeneigt gegenüber. Sie begreife nun allmählich, dass sie ihr Traumziel abschreiben müsse, und der schlechteste Partner für Tess sei ich nicht. Immerhin konnte ich ihr das Leben bieten, das sie für sich beanspruchte. Eine noble Behausung in gepflegter Umgebung, das passende Einkommen und als Zugabe eine Mutter, die sich seit langem nach einer Schwiegertochter sehnte und sich gewiss darüber freuen konnte, wenn gleichzeitig ein Baby ins Haus kam. Es wäre für alle Beteiligten die beste Lösung, fand Greta, wenn ich über meinen Schatten sprang und die letzten zehn Jahre aus meinem Gedächtnis löschte. Ich solle mir doch einfach vorstellen, wir seien gerade erst aus der Ausstellungshalle ins Freie getreten, und ich hätte nichts Eiligeres zu tun, als sie heimzubringen und Tess anzurufen. Greta schien ehrlich besorgt, ich könne einsam und verlassen auf der Strecke zurückbleiben, wenn sie Jan in ihr Bett bekam. Es war verrückt. Wir waren derart eingesponnen in die Vorspiegelung falscher Tatsachen, dass es unmöglich war, diesen Kokon noch mit ein oder zwei Sätzen zu durchbrechen. Auch eine längere Erklärung hätte nach all der Zeit nichts mehr gebracht. Ich war überzeugt, dass andere wesentlich besser wussten, wie es um uns stand. Jan wusste es mit Sicherheit. Blöd war er nicht. Ich hatte mir, als Greta uns im Frühjahr miteinander bekannt machte und mich als Kollegen vorstellte, den dezenten Hinweis erlaubt:
«Kollege ist nicht ganz korrekt. Partner ist der treffende Ausdruck.»
Damit er verstand, was ich meinte, hatte ich sie an mich gezogen. Sie hatte zwar meinen Arm gleich wieder von ihrer Taille gelöst, aber gesehen hatte er es. Ich hatte auch danach keine Zweifel gelassen, dass mich mit Greta mehr verband als der Beruf. Ich hatte ihm sogar zu verstehen gegeben, dass ich mich von seiner Romanmasche nicht täuschen ließ. Manchmal dachte ich, dass er nur aus einem Grund an seiner scheußlichen ersten Szene festhielt, weil er genau wusste, wie ich darüber dachte. Ich musste es nicht offen aussprechen. Unsere Unterhaltungen liefen stets nach demselben Muster. Ich erkundigte mich nach Fortschritten und drückte meine Bewunderung aus. Dass ein Mann so viel Zeit und Geduld aufbrachte und an seine Arbeit so hohe Ansprüche stellte, dass er auch die fünfundsiebzigste Fassung wieder verwarf. Ich musste nur sein Mienenspiel beobachten, um seine Antwort zu erfassen. Du kannst mir gar nichts! Und wenn ich es noch tausendmal schreibe, beweisen kannst du es nie! Es war jedes Mal ein Kräftemessen, das Greta mit Argusaugen überwachte. Nachdem ich ihr einmal erklärt hatte, dass ich die misshandelte und ermordete Neunzehnjährige für real hielt, hatte ich noch einige Vorstöße in diese Richtung unternommen. Doch auf dem Ohr war sie taub.
«Du bist verrückt, Niklas. Red keinen Unsinn.»
Mehr hörte ich dazu nicht von ihr. Sie befürchtete allerdings, ich könne den armen Jan mit einem offenen Wort erschrecken. Am Abend vor der Party wären wir deshalb beinahe in Streit geraten. Greta erteilte mir Verhaltensmaßregeln. Wehe mir, wenn ich ihr mit irgendeiner ironischen
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