Meineid
ansehe, Frau Damner.»
Zuletzt gesehen hatte Luis sie vor einem Jahr, da war sie im sechsten Monat schwanger gewesen und hatte kein anderes Thema gehabt als ihr Leben, das sie für die Zukunft ihrer ungeborenen Tochter riskieren wollte. Dass sie ein Mädchen bekommen würde, wusste sie vom Ultraschallbild. Bei Gretas Geburtstag hatte Tess gefehlt. Mandy war erkältet, und ein acht Wochen altes Baby, das dem Erstickungstod nahe war, in der Obhut von Großmutter und Tante zurückzulassen, hatte Tess nicht gewagt. Luis zwinkerte ihr zu und erkundigte sich:
«Warum haben Sie nicht kurz angehalten? Der Ärmste hätte sich bestimmt über ein nettes Wort gefreut.»
Die Reaktion ihrer Zuhörer war nicht, was Tess erwartete. Greta und den Rest ihres Publikums würdigte sie keines Blickes, Luis dagegen wurde fast durchbohrt.
«Finden Sie das witzig, Herr Abeler? Tut mir Leid, dass ich nicht mitlache. Wenn es nur der Kerl im Auto wäre, könnte ich mich vielleicht auch amüsieren.»
Aber es war nicht nur der Kerl. Tess war so richtig in ihrem Element und bot als Zugabe ein wenig Telefonterror. Sie bekamen seit Wochen merkwürdige Anrufe. Nicht die üblichen Obszönitäten, niemand stöhnte ihr, ihrer Mutter oder Sandra Damner etwas ins Ohr. Wenn Tess nicht selbst an den Apparat ging, meldete sich der Anrufer gar nicht. Aber er legte auch nicht wieder auf. Vorgestern war die Leitung den halben Tag blockiert gewesen.
«Ein hartnäckiger Verehrer, meinte Luis.
«Und was passiert, wenn Sie den Anruf entgegennehmen?»
Tess seufzte, hob die Schultern und ließ sie in einer resignierenden Geste wieder sinken.
«Dann kommt auch nicht viel. Meist nur der Satz: Du weißt, was ich will.»
«Und, erkundigte Luis sich zögernd, «wissen Sie es?»
Noch einmal zuckte Tess mit den Achseln.
«Drücken wir es so aus: Ich kann es mir denken. Da es sich bei dem Anrufer nur um den Vater meiner Tochter handeln kann, gibt es nur zwei Möglichkeiten. Er fürchtet Publicity. Ich habe ihm erklärt, dass er sich keine Sorgen machen muss.»
Sie schaute Luis nachdenklich an.
«Ich habe schon daran gedacht, die Polizei einzuschalten. Meinen Sie, das hätte Sinn, Herr Abeler?»
«Ich glaube nicht, dass Ihnen das etwas bringt, erklärte Luis.
«Unsere Freunde und Helfer brauchen immer zuerst eine hübsche Leiche, ehe sie aktiv werden. Und dazu wird es doch hoffentlich nicht kommen. Aber Sie sprachen von zwei Möglichkeiten. Dass er sich keine Sorgen machen muss, ist eine. Das haben Sie ihm gesagt, und es hört trotzdem nicht auf. Da sollten wir davon ausgehen, dass er sich keine Sorgen macht, sondern etwas anderes von Ihnen will. Was könnte das sein?»
Tess lächelte.
«Etwas, was er sich von mir aus im Ehebett holen kann. Von mir kriegt er es nicht mehr! Ich hatte genug Ärger und denke nicht daran, mich noch einmal auf irgendwelche Spielchen einzulassen.»
Nur Greta und ich wussten, dass die energischen letzten Sätze die frechste Lüge waren, die Tess je über die Lippen gebracht hatte. Sie hätte sich augenblicklich und mit Freuden auf jede Art von Spielchen eingelassen. Ob am Rest, der Verfolgungsjagd und den mysteriösen Telefonanrufen, etwas dran war, konnte ich nicht beurteilen. Doch ich mochte es nicht wie Greta völlig ausschließen. Tess war nicht mehr sechs und nicht mehr siebzehn. Dass sie manchmal zu dick auftrug, war mir durchaus bekannt. Aber dass sie sich eine Bedrohung durch ihren ehemaligen Liebhaber aus den Fingern sog, nur um Gretas Gäste zu unterhalten, die Vorstellung gelang mir nicht, gerade weil ich Tess kannte. Es war doch im Prinzip eine simple Sache. Sie wollte diesen Mann unbedingt und hatte sich noch nie großartige Gedanken über die Konsequenzen ihres Handelns gemacht. Wenn sie ihn unter Druck setzte, verlor er vielleicht die Nerven und brachte sie zum Schweigen. Wie Greta einmal gewarnt hatte:
«Du redest dich eines Tages um Kopf und Kragen.»
Tess atmete tief durch. Es klang wie der Schlusspunkt. Dann widmete sie sich für ein paar Minuten dem Rest der Gästeschar. Die meisten hatte sie längere Zeit nicht gesehen. Jan beachtete sie kaum. Wenn ich mich recht erinnere, begrüßte sie ihn nur mit einem flüchtigen Nicken. Mir dagegen wurde mehr Aufmerksamkeit geschenkt, als Greta zu träumen gewagt hatte. Tess freute sich sehr, mich zu sehen. Es stellte sich später heraus, dass Greta erklärt hatte, es sei nicht sicher, ob ich an ihrer Party teilnehmen würde. Sie muss bis zur letzten Minute im Zweifel
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