Meineid
Mandys Vater hat sie auch Zeter und Mordio geschrien, und der war ihr entschieden wichtiger als Jan.»
«Was Mandys Vater mit ihr veranstaltet hat, erklärte ich,
«war ein Akt brutaler Gewalt. Es hatte nichts mit Sadismus zu tun.»
«Wenn Jan ihr sadistische Praktiken abverlangte, behauptete Greta,
«wäre ich die Erste, die es erfährt.»
«Das glaubst du, konterte ich.
«Du glaubst vermutlich auch noch, Tess wüsste nicht, was du für ihn empfindest. Sie ist doch nicht blind, Greta. Du müsstest dich einmal beobachten können, wenn du mit ihm zusammen bist.»
Wir stritten den ganzen Abend. Am nächsten Morgen unternahm ich den ersten Schritt, Licht ins Dunkel von Jans Vergangenheit zu bringen. Von der Trauungsurkunde kannte ich sein Geburtsdatum und den Geburtsort Braunschweig. Es war nicht viel, aber es war ein Ansatzpunkt. Greta war außer sich, als sie von meinen Bemühungen erfuhr. Dass ich im Leben eines Mannes, der mich inzwischen für seinen Freund hielt, stocherte wie in einem Misthaufen, empfand sie als eine bodenlose Unverschämtheit. Dabei mehrten sich für sie nach dem Augustsonntag die Anzeichen, dass ich mit meiner Einschätzung der Verletzungen richtig lag. Aber davon erzählte sie mir erst viel später. Und zu Gesicht bekam ich nichts mehr. Bei mir wurde Tess extrem vorsichtig. Ich war nicht dabei, als sie Greta an einem Abend im Oktober ein Kleid zeigen wollte, das sie von ihrem Vater geschenkt bekommen hatte. Greta folgte ihr ins Schlafzimmer. Das Bett war nicht gemacht, und sie bemerkte ein paar Flecken auf ihrem Kopfkissen. Eindeutig Blut! Tess sah ihren Blick und lachte.
«Ich wollte den Bezug heute Morgen wechseln. Mandy kam dazwischen, und ich hab’s vergessen. Das kommt davon, wenn man ohne Unterwäsche schläft. Ich habe letzte Nacht meine Periode bekommen.»
«Auf dem Kopfkissen?, fragte Greta.
«Warum nicht?, meinte Tess.
«Jetzt schau mich nicht an wie die Heilige Jungfrau. Wer liegt denn immer mit dem Kopf auf dem Kissen? Und Jan stört es nicht, wenn etwas Farbe ins Spiel kommt. Ein guter Seemann schwimmt auch durch das Rote Meer.»
Während sie sprach, ging Tess zum Schrank. Auf dem oberen Bord lag ein Stapel mit Kissenbezügen. Sie zog einen heraus, etwas fiel klirrend zu Boden. Ein Paar Handschellen! Und mit einem leisen Poltern fiel ein Kerzenstummel hinterher. Der Rest einer einfachen weißen Kerze mit schwarz verbranntem Docht. Über den Kerzenstummel verlor Tess kein Wort, als ob man solche Restbestände grundsätzlich unter der Bettwäsche aufbewahrte. Und die Handschellen …
«Wie kommen die denn dahin? Jan hat schon danach gesucht.»
Tess raffte beide Sachen vom Boden. Dabei erzählte sie, die Handschellen seien ein Geschenk von einem Kripobeamten, mit dem Jan in letzter Zeit häufig zu tun gehabt habe. Recherche für den Roman, damit alles lebensecht wirkte. Nur brachte Tess ihm die Handschellen nicht ins Arbeitszimmer. Sie schob sie zurück unter die Kissenbezüge, den Kerzenstummel legte sie in ihren Nachttisch. Aber auch wenn Greta mir verschwieg, was sie gesehen hatte, alles ließ sich nicht verbergen. An einem Sonntag im Februar waren wir zum Essen verabredet. Greta und ich waren pünktlich. Jan saß ausgehfertig auf der Couch, auch Mandy auf seinem Schoß war bereits mit Mütze und Jacke bekleidet. Und Tess öffnete uns im Bademantel.
«Setzt euch noch ’n Moment.»
Sie lallte, als sei sie betrunken. Sie ging zur Treppe, stieg hinauf. Und es war nicht zu übersehen, dass sie dabei erhebliche Schwierigkeiten hatte. Sie schwankte jedoch nicht, wie man es bei einer Betrunkenen erwartet hätte. Sie zog nur ihr linkes Bein nach. Und später im Restaurant nahm sie so vorsichtig Platz auf ihrem Stuhl, dass ich es mir kaum ansehen konnte.
«Bist du wieder von einer Wespe gestochen worden?, fragte ich. Tess lächelte gequält.
«Nein, ich habe mir das Bein verbrüht. Ich wollte einen Topf vom Herd nehmen und habe ihn fallen lassen. Ist nicht so tragisch.»
Einige Wochen später hatte ich dann endlich Erfolg mit meinen Bemühungen um Jans Vergangenheit. Es war nicht einfach gewesen. Ich hatte sogar meinen Vater bitten müssen, seine Beziehungen spielen zu lassen. Aber es hatte sich gelohnt. * Im April bekam ich die Kopie einer alten Prozessakte zugeschickt, die bewies, dass Jan zumindest die beiden neuen Romanszenen nicht frei erfunden hatte. Ein Mann, eine Frau und ein Kind in einer Küche, es war, wie Greta festgestellt hatte, als wir die
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