Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meineid

Meineid

Titel: Meineid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
Vom Netzwerk:
Seiten lasen, ein soziales Drama und ein sehr persönliches. Es war Jans Geschichte. Seine Mutter war in der Küche erstochen worden – mit einem Messerchen, mit dem sie Kartoffeln geschält hatte. Zuvor hatte sie ihren Mann und ihren Sohn in übelster Weise beschimpft. Jan war damals vier Jahre alt gewesen. In der Prozessakte waren etliche Zeugen benannt. Nachbarn, die erlebt hatten, dass die Ehe seiner Eltern die Hölle auf Erden war. Eine Mussehe. Eine frustrierte Frau, die etwas anderes von ihrem Leben erwartet hatte als eine enge Wohnung und finanzielle Sorgen. Ein labiler Mann, der schnell zur Flasche griff, wenn er Probleme nicht bewältigen konnte. Es müssen viele Probleme gewesen sein. Arbeitslosigkeit, Pfändungen, ein unerwünschtes Kind. Aber Jans Vater hatte ihn geliebt, seinen Sohn. Zwei Nachbarn sagten aus, sie hätten den Mann mehrfach im Treppenhaus sitzen sehen, mit einer Bierflasche in der Hand, weinend. Auf seine Nöte angesprochen, hätte es jedes Mal geheißen:

    «Immer lässt sie ihre Wut auf mich an dem armen Jungen aus. Sie hat ihn wieder grün und blau geschlagen. Jetzt liegt er in seinem Bett und traut sich nicht einmal zu weinen. Ich kann das nicht mehr mit ansehen.»
    Nur ging es in der Prozessakte nicht um Kindesmisshandlung. Es ging um Totschlag im Affekt. Ein Pflichtverteidiger hatte noch versucht, eine Notwehrhandlung daraus zu machen. Aber Jans Vater war seiner Frau körperlich überlegen gewesen. Er muss ein großer, kräftiger Mann gewesen sein, hätte nur einmal zuschlagen müssen, um seine Frau von dem Kind abzubringen. Genau das hatte er wohl nicht tun können. Nachbarn und ehemalige Arbeitskollegen beschrieben ihn übereinstimmend als einen sanften, geduldigen Mann, der keine Fliege totschlagen konnte. Nur seine Frau konnte er anscheinend erstechen, als er sich nicht mehr anders zu helfen wusste. Es gab keine Zweifel an seiner Schuld. Er legte im Polizeiverhör ein Geständnis ab, widerrief es allerdings in der Verhandlung mit der Begründung, er sei betrunken gewesen und habe im ersten Schock nicht gewusst, was er sagte, außerdem hätten ihn die Beamten unter Druck gesetzt. In Wahrheit», sagte er vor Gericht, habe er die Küche verlassen, nachdem ihm die Bierflasche aus der Hand gefallen sei. Er habe sich aufs Bett gelegt und sei eingeschlafen. Das Letzte, was er aus der Küche gehört habe, seien das Keifen seiner Frau und das Weinen seines Sohnes gewesen. Niemand glaubte ihm. Totschlag im Affekt. Die zwei Promille Alkoholgehalt im Blut zur Tatzeit wirkten sich strafmildernd aus. Jans Vater war zu einer verhältnismäßig geringen Gefängnisstrafe verurteilt worden. Er hatte sich kurz darauf in seiner Zelle erhängt, einen Zettel hinterlassen, auf dem er seine Schuld erneut eingestand, seinem Sohn viel Glück für die Zukunft wünschte und liebe Menschen, die sich um ihn kümmern sollten. Was aus dem vierjährigen Jan geworden war, ging nicht aus der Akte hervor. Das erfuhr Greta auf andere Weise. Und sie musste nicht schnüffeln wie ich, nur zuhören oder zuschauen, wenn Jan von seinem Roman erzählte oder daran arbeitete. Allerdings hatte sie, bis ich ihr Einblick in die Akte verschaffte, nicht gewusst, was er in den Computer tippte: sein eigenes Leben. In ihren Augen war das seine Art, sich mitzuteilen. Seine einzige Möglichkeit, etwas von seinem Elend auszusprechen und zu verarbeiten. Von ihren beiden Besuchen pro Woche war der Dienstagabend meist Jan gewidmet. Dann saßen sie zusammen in seinem Arbeitszimmer, Greta half ihm, seine trockene Sprache zu beleben, die Romanfiguren nicht nur agieren, auch denken und fühlen zu lassen. Nach der Lektüre der Prozessakte hatte sie dabei erhebliche Schwierigkeiten, wollte ihn nicht spüren lassen, wie Leid er ihr tat. Manchmal fiel es ihr unendlich schwer, ihn nicht in die Arme zu nehmen, zu trösten, irgendetwas zu sagen oder zu tun, was das Entsetzliche ein wenig mildern konnte. Nach der prügelnden Mutter eine bigotte Großmutter, die sich die Füße krumm lief zur Kirche, den Enkel mit Weihwasser beträufelte, um das böse Fleisch zu säubern und ihm den Teufel auszutreiben. Später fand sie perfidere Methoden wie Nächte im Schweinestall und vorher mit nackten Beinen durch ein Stück Garten, das hauptsächlich mit Nesseln bewachsen war. Zum Frühstück gab es das heiße Wachs einer geweihten Kerze für die Handteller. Wenn er ausnahmsweise einmal in einem Bett geschlafen und eingenässt hatte, gab es auch dafür heißes

Weitere Kostenlose Bücher