Meineid
unschuldig. Wenn es ein Mensch weiß, dann Jan.»
Greta wollte davon nichts hören und sehen. Sie warf mir vor, von einer fixen Idee besessen zu sein und aus Jan unbedingt einen Mörder machen zu wollen. Aber es kam auch für sie der Tag, an dem sie der Sache auf den Grund gehen wollte, natürlich nicht mit der Absicht, Jan einer Untat zu überführen. * Am letzten Dienstag im Mai fuhr Greta schon kurz nach vier direkt von der Kanzlei aus nach Lindenthal, gute zwei Stunden früher als üblich. Tess war erst kurz zuvor heimgekommen. Aus dem Fitnessstudio, wie Jan mit unbewegter Miene erklärte, als er Greta ins Haus ließ. Tess war im Bad.
«Geh ruhig rein, empfahl Jan und ging zurück in sein Arbeitszimmer, wo er an einem Drehbuch arbeitete. Ob Tess ihr Klingeln an der Haustür nicht gehört hatte, konnte Greta nicht beurteilen. Sie klopfte kurz an, und Tess rief:
«Nur keine Scheu, hast du doch sonst auch nicht.»
Als Greta das Bad betrat, zuckte Tess zusammen, Greta ebenfalls. Tess stand nackt neben der Wanne, einen Fuß auf den Rand gesetzt. In einer Hand hielt sie eine kleine Flasche. Mit einem Wattestäbchen tupfte sie eine dunkle Flüssigkeit auf das hochgestellte Bein. Auf ihrem linken Oberschenkel befand sich eine Verletzung, die Greta für eine Brandwunde hielt. Auf den Brüsten gab es mehrere blaurote Kränze mit dunklen Punkten am Rand. Mit der Erinnerung an die Verletzungen, die Mandys Vater Tess vor mehr als zwei Jahren zugefügt hatte, war es nahe liegend, zu fragen:
«Hast du dich mit Mandys Vater getroffen?»
«Hältst du mich für lebensmüde?, fuhr Tess auf.
«Wie ist das dann passiert?, fragte Greta.
«Ich habe mich an einer Maschine im Fitnessstudio verletzt, behauptete Tess.
«Seit wann verursachen Maschinen Verbrennungen und Bisswunden?, fragte Greta. Tess lächelte.
«Hast du deine Kontaktlinsen verloren? Das ist keine Verbrennung. Es ist gekniffen, schau doch genau hin.»
Und die kranzförmigen dunklen Punkte auf ihren Brüsten waren ihren Worten zufolge von vorstehenden Schrauben verursacht worden.
«Ich ziehe das Ding auf mich zu, da gibt es plötzlich keinen Widerstand mehr und es knallt mir gegen die Brust.»
Ich habe keine Zweifel, dass Tess genauso argumentierte. Greta war am nächsten Tag noch so schockiert, dass sie zum ersten Mal ihr Schweigen brach.
«Fitnessstudio! Für wie blöd hält sie mich? Was geht da vor, zum Teufel?»
«Das weißt du doch», sagte ich. Sie wurde heftig:
«Red nicht immer diesen Blödsinn. Meinst du, Jan hätte mich ins Bad geschickt, wenn er Tess in dieser Weise verletzt hätte? Ich garantiere dir, es war Mandys Vater. Sie hat sich mit ihm getroffen.»
Sie war sich ihrer Sache wieder einmal völlig sicher, zu bedauern war bei alldem nur Jan. Er hatte sich von seiner Ehe mit Tess den Himmel versprochen, war stattdessen in der Hölle gelandet und wagte es nicht, aufzumucken oder zu erklären, was tatsächlich vorging. Er liebte Tess, nahm sogar hin, dass sie ihn betrog, um sie nicht zu verlieren. Darauf hätte Greta einen Eid abgelegt. Jan habe sich in ein Schneckenhaus zurückgezogen, weil er so verletzlich sei, dass er nur in einem Panzer überleben könne. Er wisse, was Schmerz sei, physischer und psychischer Schmerz. Er könne über Grausamkeiten schreiben, weil er sie am eigenen Leib erfahren habe. Aber er könne niemandem wehtun. Und davon war Greta nicht nur überzeugt, weil sie ihn liebte. Was interessierten sie die alten Sprüche: Liebe macht blind. Nicht jeden! Den einen machte sie hilflos, den anderen aufmerksam. Mich mache sie verrückt, meinte Greta. Es ging eine Weile hin und her zwischen uns, schließlich entschied sie:
«Mir reicht das jetzt. Ich finde heraus, was Tess treibt.»
Sie war tatsächlich fest entschlossen, sich im Fitnessstudio oder sonst wo auf die Lauer zu legen, Tess auf Schritt und Tritt zu folgen. Sie spielte sogar mit dem Gedanken an einen Mietwagen, damit es nicht auffiele. Doch die Kanzlei machte ihr einen Strich durch sämtliche Pläne. In den nächsten beiden Wochen hatte Greta keine freie Minute. Neben der anfallenden Arbeit im Zivilrecht war sie in drei Strafverfahren engagiert und übernahm zusätzlich Anfang Juni auch noch einen Fall von Kindesmisshandlung. Der zuständige Oberstaatsanwalt machte ihr schwer zu schaffen. Zwar standen sie sich noch nicht vor Gericht gegenüber, aber Luis ließ schon im Vorfeld keinen Zweifel, dass er der Meister war. Er konzentrierte die Ermittlungen auf
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