Meineid
als Jans Geiz. Es gab dafür im ersten Jahr ihrer Ehe auch keine konkreten Anzeichen. Wenn man von einem Wespenstich absieht, der Tess neun Monate nach der Hochzeit daran hinderte, mit uns am Esstisch Platz zu nehmen. Ich sehe sie noch vor ihrem Teller stehen, höre ihre Entschuldigung und ihr Lachen.
«Ich weiß, dass es ungemütlich wirkt. Aber sitzen kann ich wirklich nicht.»
Passiert sei es freitags beim Besuch der Sauna, erzählte Tess. Dort habe sie nun wirklich nicht mit Wespen gerechnet. Zumal man nicht davon ausgehen könne, dass es im März schon welche gab. Wespen im März, das war auch mit völlig neu. Aber es klang so harmlos, dass es nicht lohnte, sich großartig Gedanken darüber zu machen. Ebenso harmlos schienen in der Folgezeit kleine Hautabschürfungen. An den Handgelenken und Fußknöcheln ließen sie sich kaum durch Kleidungsstücke verbergen. Darauf angesprochen sagte Tess meist:
«Ich habe mich gestoßen. Ich weiß gar nicht, was mit mir los ist. In letzter Zeit renne ich nur noch gegen Ecken und Kanten.»
Das klang sogar plausibel, weil sie schon zum Ende des ersten Ehejahres hin und wieder zu tief in ein Whiskyglas schaute. Es war noch nicht so gravierend, dass man von Alkoholismus hätte sprechen müssen. Aber mehr und mehr benahm Tess sich wie eine enttäuschte, verbitterte und hilflose Frau, die keinen Ausweg aus ihrem Dilemma sah und deshalb zur Flasche griff.
«Sie ist so frustriert», sagte Greta häufig. Aber kein Wort über die auffälligen Zeichen, die sie im Laufe der Zeit registrierte. Als kein Weg mehr daran vorbeiführte, dass bei Jan und Tess längst nicht alles so war, wie sie es sehen wollte, nahm Greta für sich die Überzeugung in Anspruch, Tess nutze die von mir gelieferte Munition, um einen neuen Mythos zu schaffen. Mandys Vater stand als Buhmann nicht mehr zur Verfügung. Niemand war bereit, sich auf ihre Seite zu stellen und den Stab über Jan zu brechen, wenn Tess sich auf seine Knausrigkeit berief. Gegen offene Anschuldigungen hätte Jan sich zur Wehr setzen können, also verzichtete Tess darauf. Wie sich das für die Frau eines Drehbuchautors gehörte, spielte sie kleine Szenen vor, um alle Welt zu überzeugen, dass sie den schwarzen Mann aus dem Loseimer gezogen hatte. So sah Greta es. Ich weiß nicht mehr, wie oft wir deswegen stritten. Egal, mit welchem Thema wir begannen, wir endeten unweigerlich bei Jan und Tess. Manchmal war ich es so leid. Für uns beide lief es bestens, beruflich und privat. Es gab keinen Grund mehr für Heimlichkeiten. Wir waren ein Paar, kannten unsere Stärken und Schwächen, kamen wunderbar miteinander aus, solange wir uns auf persönliche Belange beschränkten. Aber gezwungenermaßen schleppten wir dieses Päckchen mit uns, Freundschaft, Befürchtungen, Vermutungen, Verdächtigungen und nie ein schlüssiger Beweis. An einem Sonntag im August sollte ein Haushaltsgerät verantwortlich sein für das, was nicht zu übersehen war. Es war ein sehr heißer Nachmittag. Wir saßen zu viert auf der Terrasse. Tess trug einen luftigen Rock und eine ärmellose Bluse. Mandy spielte in der Sandkiste. Jan plauderte lässig mit Greta. Er hatte endlich den richtigen Einstieg in den Roman gefunden und am vergangenen Abend zwei Szenen geschrieben, völlig anders als alles, was er bisher zu Papier gebracht hatte. Zufrieden war er allerdings nicht damit. Während er sprach, spielte Tess wie in Gedanken versunken mit einem breiten Goldarmband an ihrem rechten Handgelenk, das noch aus Zeiten ihrer großen Liebe stammte. Mir fiel auf, dass Greta wie gebannt auf das Armband starrte. Ich folgte ihrem Blick und sah eine schmale, blutunterlaufene Abschürfung. Das Armband deckte sie beinahe völlig ab. Ich räusperte mich und unterbrach Jan damit in seinen Ausführungen.
«Was hast mit deinem Arm gemacht?»
Tess warf einen kurzen Blick auf ihr Gelenk und lachte verlegen:
«Ach, das war Dämlichkeit. Ich bin mit dem Armband in der Waschmaschine hängen geblieben.»
Das glaubte ich ihr keine Sekunde lang. Ein solches Schmuckstück trug man kaum bei der Hausarbeit. Abgesehen davon sprach ihr linkes Handgelenk dagegen. Links trug sie eine Uhr mit breitem Lederband. Und dicht unter dem Band zeichnete sich ebenfalls ein dunkler Streifen auf ihrer Haut ab. Tess bemerkte, dass ich auch die zweite Verletzung registriert hatte. Sie warf einen Blick auf Jan, fast wie Bedauern, als täte ihr Leid, dass mir etwas aufgefallen war, was niemand sehen sollte. Jan
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