Meineid
Chance gehabt und keine genutzt hatte, die eine Niete aus dem Loseimer zog und dafür mit dem Leben bezahlte? * Die Terrasse hatte Tess mit weißen Korbmöbeln ausgestattet. Auf den Sesseln und der Liege lagen dicke Polster. Sie waren mit einem dunkelroten, gemusterten Stoff bezogen. Man konnte unmöglich erkennen, in welchem Ausmaß der Stoff mit Blut durchtränkt war. Er sah nicht einmal feucht aus. Es war irritierend. Kein Blut auf dem Boden, kein einziger Tropfen. Neben der Liege sah Greta ein leichtes T-Shirt, als hätte Tess es ausgezogen und keine Lust gehabt, es ins Haus zu bringen. Tess lag auf dem Bauch, nur mit einem Bikinihöschen bekleidet. Ihr Gesicht war dem Garten zugewandt. In dieser Position waren keine Verletzungen festzustellen. Ihr linker Arm hing seitlich von der Liege herunter, die Fingerspitzen berührten fast die Messerklinge. Es war ein großes Messer aus ihrer eigenen Küche. Die Klinge war blutverschmiert, aber nicht sonderlich stark, nur ein paar dunkle Schlieren zogen sich über das Metall. Das Messer war das Einzige, was darauf hindeutete, dass etwas nicht in Ordnung war. Greta ging wie unter Zwang auf die Liege zu. Aber es war nicht Tess, die sie anzog. Die Vorstellung, Tess zu berühren, nach dem nicht mehr vorhandenen Puls zu tasten, verursachte ihr Panik. Wie Tess da lag, war sie fremd, unheimlich, nicht mehr der Mensch, mit dem Greta dreißig Jahre Erinnerung teilte. Sie schaffte es nicht, sich etwas anderes anzusehen als den makellosen Rücken. Und auch den nur sekundenlang, bis feststand, dass er sich nicht mehr hob und senkte. Es war das verschmierte Messer. Sie konnte es nicht liegen lassen. Es musste auf der Stelle verschwinden. Wie ein Albtraum verschwand, wenn man aufwachte. Der gesamte Tag war ein Albtraum gewesen, und jetzt erwachte sie allmählich daraus. Als sie sich bückte», sagte Jan:
«Fass lieber nichts an.»
Er klang ruhig und bedächtig, wie sie es von ihm gewohnt war. Ein Mann, der genau wusste, was um ihn herum vorging und was zu tun war. Es beruhigte sie ein wenig. Aber seine Warnung kam zu spät. Sie hatte das Messer bereits in der Hand. Die Klinge war etwa fünfzehn Zentimeter lang, das Blut darauf schon getrocknet und fast schwarz im Lampenlicht. Sie drehte sich langsam zu Jan um. Er grinste flüchtig. Ein merkwürdiges Grinsen, keineswegs fröhlich, obwohl es bei ihr genau den Eindruck erweckte. Auch in seiner Stimme glaubte sie, diesen sonderbaren Humor zu hören.
«Dir ist klar, dass jetzt auch deine Fingerabdrücke auf dem Griff sind?!»
Auch deine! Bei diesen Worten spürte sie einen kalten Schauer auf dem Rücken. Auch deine! Na gut, auch ihre! Es war nicht wichtig. Wie ihre Fingerabdrücke auf den Messergriff gekommen waren, wusste sie ja. Und von ihm wollte sie hören, dass er kurz vor neun das Haus betreten hatte, nur ein paar Minuten bevor er sie anrief.
«Wann hast du Tess so gefunden?»
Im Geist hörte sie die Stimme von Luis Abeler.
«Einspruch! Suggestivfrage.»
Luis sollte ihr den Buckel runterrutschen. Jan hatte eine Besprechung im Sender gehabt. Jan war anschließend mit Kollegen auf ein Bier und einen Schnaps in eine Kneipe gegangen. Sein Atem sprach dafür. Jan konnte zwei, drei oder vier Männer benennen, die bezeugten, dass er mit ihnen zusammen gewesen war, als Tess starb. Jan kniff die Augen zusammen, schluckte einmal trocken, atmete tief durch und sagte:
«Tut mir Leid, Greta. Ich kann mir denken, was du von mir hören willst. Aber damit kann ich nicht dienen. Ich habe die Nerven verloren, als ich …»
«So nicht, Jan, fiel sie ihm ins Wort.
«Knappe und präzise Antworten. Die Uhrzeit hätte völlig gereicht. Ich werde die Frage anders formulieren.»
Sie stand immer noch neben der Liege, schielte, ohne es zu wollen, mit einem Auge auf Tess hinunter. Aber es war nicht mehr ihre Tess. Greta hatte ihren Tod nicht gewollt. Auch nicht vor zwei Jahren, als sie zu mir sagte, sie wünsche, Mandys Vater hätte Tess umgebracht. Sie war doch damals nur verletzt gewesen, getroffen an einer Stelle, von der sie gar nicht gewusst hatte, dass sie solch eine Stelle noch besaß. Sie hatte das überwunden und seit dem Samstag im April vor zwei Jahren nie wieder auch nur mit dem Gedanken gespielt, Tess möge etwas zustoßen. Aber nun war es passiert! Nun lag da eine Leiche, für die Greta nichts mehr tun konnte. Tess war nur noch ein totes Stück Fleisch. Und sie war immer noch Greta Baresi. Sie war nicht mehr achtzehn. Zwischen den
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