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Meineid

Meineid

Titel: Meineid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Hammesfahr
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Scheußlichkeiten in der Szene, von der Hitze oder vom leeren Magen. Zu Mittag hatte sie nichts gegessen, da lag ihr Luis Abeler wie ein Stein im Magen, dann gesellte ich mich noch dazu mit meiner Vermutung, es mache ihr Spaß, zuzuschauen, wie Tess vor die Hunde ging. Inzwischen war sie hungrig, aber sie hatte keinen Appetit. Trotzdem rief sie kurz vor acht ein italienisches Restaurant an, das ins Haus lieferte. Sie bestellte eine Pizza Tonno und einen Salat Capricciosa. Der Salat war für den nächsten Tag gedacht. Ursprünglich hatten wir an dem Freitagabend zum Essen ins Gasthaus Adler am Friesenwall fahren wollen. Auch für den Samstag und den Sonntag hatten wir uns einiges vorgenommen. Aber nach dem Streit rechnete sie nicht damit, mich vor Montag wieder zu sehen. Als der Pizzabote kam, hatte sie immer noch keinen Appetit. Sie schnitt sich wenigstens ein Viertel der Pizza ab, stand noch in der Küche, als Jan anrief. Er war sehr ruhig am Telefon, völlig unbeteiligt und fremd sagte er nur zwei Sätze:

    «Du kommst am besten sofort her. Tess ist tot.»
    Greta schwieg. Sie hätte fragen müssen:

    «Was ist passiert?»
    Das schaffte sie nicht. Tess ist tot! Wenn er das sagte, war es so. Sie hatte wieder das Bedürfnis, zu schreien oder mich anzurufen und nur seine Worte zu wiederholen:

    «Du kommst am besten sofort her. Tess ist tot!»
    Auf der Couch liegen bleiben und alles Weitere mir überlassen. Im Geist hörte sie mich sagen:

    «Er ist ein Killer.»
    Er war der Mann, den sie liebte, auf eine Art, die sie keinem Menschen erklären konnte, auch sich selbst nicht. Und dann sah sie ein Haus voller Polizisten. Sie stellten Fragen. Jan konnte ihnen nicht antworten. Sie bedrängten ihn. Er verschloss sich nur umso mehr. Es dauerte etliche Sekunden, ehe sie reden konnte.

    «Ich bin in einer halben Stunde da. Hast du die Polizei schon verständigt?»
    Es kam nur noch ein Laut durchs Telefon wie ein Schluchzen.

    «Schon gut», sagte sie.

    «Ich kümmere mich darum.»
    Dann legte sie auf und ging ins Bad. Sie sah mit der Pflegemaske aus wie ihr eigener Geist. Die Augen nur zwei dunkle Löcher in der weißen Schmiere, vielleicht war es das Entsetzen. Tess ist tot! Sie hatte keinen Boden mehr unter den Füßen, sah das vollkommene Gesicht vor sich, während sie die Haarsträhnen aus der zähen Masse zupfte und mit einer Hand voll Kosmetiktüchern die Maske abnahm. Tess hatte sich niemals mit Hautunreinheiten plagen müssen. Nur ein paar winzige Fältchen hatte sie mit der Zeit bekommen und die kleinen Besenreiser über dem linken Fußknöchel. Greta hatte trotz der angeblich beruhigenden Wirkung ihrer Maske rote Flecken. Stirn, Wangen, Nase, Kinn, alles war übersät. So konnte sie nicht aus der Wohnung gehen. So konnte sie bestimmt nicht Jan gegenübertreten. Er brauchte jetzt die Greta, die er kannte. Die starke, ruhige, tüchtige Greta Baresi. Halt und Stütze für einen Mann, der ihrer festen Überzeugung nach seine Wut nur auf Monitor oder Papier auszudrücken vermochte, der in Gefühlsdingen so hilflos war, dass manch einer denken mochte, er hätte kein Gefühl. Eine Viertelstunde brauchte sie fürs Make-up. Grundierung, Puder, Rouge, Lidschatten, all die Tricks, die sie sich im Laufe der Jahre angeeignet hatte, um die kleinen Mängel zu vertuschen. Um die Männer, mit denen sie zu tun hatte, zu der Bemerkung zu veranlassen, sie habe ein ausdrucksstarkes Gesicht. Wenn sie ihr schon nicht sagten, es sei hübsch. Bei den Haaren war alle Mühe vergebens. Sie waren noch feucht und teilweise von der Gesichtsmaske verklebt. Morgens kostete ihre Frisur sie eine halbe Stunde Einsatz mit Föhn und Bürste. Anschließend kam niemand mehr auf die Idee, anzunehmen, sie wolle den Spatzen ein Nest bieten. Doch so viel Zeit hatte sie jetzt nicht. Sie zupfte das weiße Zeug heraus, ansonsten ließ sie ihr Haar, wie es war, mit der Spange im Nacken. Im Schlafzimmer nahm sie ein Kleid aus dem Schrank. Es war aus Leinen, ein zartes Grün, eng geschnitten machte es eine gute Figur. Tess hatte es mehrfach bewundert, auch einmal dezent angedeutet, dass der Farbton hervorragend mit ihrem Haar harmoniere. Die halbe Stunde, von der sie am Telefon gesprochen hatte, war bereits um, als Greta ihre Wohnung verließ. Die vier Seiten, auf denen der grauenhafte Tod einer rothaarigen Frau beschrieben war, blieben für mich zurück – wie ein Geständnis. * Für die Fahrt nach Lindenthal brauchte sie zwanzig Minuten. Es war schon dunkel, als

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