Meineid
Einrichtung, das helle Rechteck der Tür zur Diele, sie und Jan dicht hinter ihr. Was sich hinter der Scheibe auf der Terrasse befand, war nicht zu erkennen. In der Scheibe sah alles friedlich aus. Und für Greta war es das gewesen. Ein viel beschäftigter Mann, der seine Phantasie für den Beruf brauchte, sodass ihm fürs Privatleben nicht viel blieb. Eine frustrierte Frau, die sich ihr Leben aufregender vorgestellt hatte und viel Zeit im Fitnessstudio verbrachte. Die sich dort vielleicht hin und wieder an einer Maschine verletzte oder aus lauter Langeweile dazu überging, ihrer Freundin mit ein wenig Schminke diverse Verletzungen vorzugaukeln, weil der langjährige Liebhaber ihrer Freundin sie mit der Nase auf diese Chance gestoßen hatte. Ein junges Paar mit kleiner Tochter in guten finanziellen Verhältnissen, die nach Meinung der Frau hätten besser sein können. So hatte Greta sie sehen wollen. Mandy lebte seit einigen Wochen bei den Großeltern, bei Onkel und Tante. Warum? Natürlich hatte sie Tess nach dem Grund gefragt, ich ebenso. Wir hatten auch eine Antwort darauf bekommen. Jan stand beruflich unter Druck. Und Jan war ein Kindernarr. Aber er brauchte seine Ruhe zum Arbeiten! Er ließ sich leicht ablenken, legte sich lieber zu seiner kleinen Stieftochter auf den Boden und spielte mit ihr, statt neue Serienfolgen zu schreiben. Und wenn er sich, nach etlichen dezenten Hinweisen auf den nächsten Abgabetermin oder die trübe Finanzlage, hinaufbequemte und Tess dafür sorgte, dass Mandy ihm nicht folgte, konnte er sich trotzdem nicht konzentrieren. Mandy war ein lebhaftes kleines Mädchen, das immerzu durchs Haus oder den Garten tobte und dabei vor Vergnügen kreischte. Greta hatte Mandy nie toben sehen, nie kreischen hören. Die offene Terrassentür hatte etwas Bedrohliches und war damit das einzige Reale. Sie spürte absolut kein Verlangen, auf diese Realität zuzugehen. Auch auf dem Spiegelbild von Jans Hemd war das Blut deutlich zu sehen. So viel Blut floss nur aus frischen Wunden. Sein Gesicht war immer noch leer und abwesend. Er presste die Kiefer aufeinander und wartete darauf, dass sie weiterging. Das tat sie endlich. Er folgte ihr. Sie machte draußen Licht. Es waren vier Lampen, die auf einen Schalterdruck aufflammten, zwei an der Hauswand und zwei auf kniehohen Stäben am Rand der Terrasse. Die beiden letzten waren Halogenscheinwerfer. Man konnte sie schwenken und den Garten ausleuchten bis in den letzten Winkel. Sie kannte das alles so gut. Wie oft hatten wir auf dieser Terrasse gesessen? Jan und Tess, sie und ich. Die Partys mit Freunden und Bekannten in den ersten Monaten, später nicht mehr. Ein buntes Völkchen auf Wohnzimmer, Terrasse und Garten verteilt. Tanzmusik aus den Außenlautsprechern, nicht zu laut, damit die Nachbarn sich nicht beschwerten. Jan hatte die beiden Scheinwerfer dann immer zum Garten gedreht, damit sie uns nicht blendeten. Jetzt waren sie auf das Haus gerichtet. Aber trotz des grellen Lichts sah auf den ersten Blick alles normal aus. Im Garten stand eine Rutsche, einen Meter hoch, aus gelbem Plastik, wetterfest. Daneben der Sandkasten mit Mandys Spielzeug. Als wir uns beim letzten Besuch nach Mandy erkundigten, hatte Tess mit einem wehmütigen Lächeln erklärt:
«Es ist natürlich keine Dauerlösung, ein kleines Kind bei den Großeltern einzuquartieren, nur weil der Vater von Zeit zu Zeit vergisst, dass er ein erwachsener Mann ist.»
Es gab keine zweite Mutter, die so vernarrt war in ihr Kind wie Tess. Warum hatte sie Mandy aus dem Haus gegeben? Darauf hatte ich nur eine Antwort gehabt, vielmehr eine Frage an Greta.
«Hat Jan dem Kind etwas getan?»
Und Greta hatte geantwortet.
«Niklas, ich kann es wirklich nicht mehr hören. Frauenmörder, Kinderschänder, willst du darauf hinaus? Wenn Jan sich an Mandy vergriffen hätte, hinge die Kleine nicht an ihm wie eine Klette. Er würde sie niemals schlagen. Er liebt sie abgöttisch.»
«Das tut Tess auch.»
Natürlich! Greta hatte es ja auch nicht verstanden. Sie hatte zuletzt gar nichts mehr verstanden, beim besten Willen nicht gewusst, woran sie mit Tess war und was sie noch glauben sollte oder durfte. Arme Greta! Sie sah Zeichen, die klarer nicht sein konnten. Es gab nichts zu rütteln an Verbrennungen und Bisswunden. Und sie hatte den Kerzenstummel und die Handschellen aus dem Kleiderschrank in Jans Schlafzimmer fallen sehen. War Jan ein Sadist und Tess nur ein hilflos abhängiges Opfer? Eine Frau, die jede
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